Die Marsfrau
Veränderung
vorbereiten. Schließlich“, und es klang wieder schnoddriger,
„braucht er die alten Unterlagen nicht ganz so intensiv zu
studieren.“
Sylvester hörte nur noch unaufmerksam zu. Er empfand es
als nicht so wichtig zu wissen, ob sie mit Nagy über einer
Bauzeichnung hockte, wenn sie doch eigentlich auch die
Forschungsergebnisse zu studieren hatte. Und Rechenschaft
war sie ihm nicht schuldig über ihre Tätigkeit – eher über die
Entscheidung, die sie schließlich mit herbeigeführt haben
musste. Und mit dieser Entscheidung, fühlte er, würde er nicht
so schnell fertig werden. Er musste an sich halten, damit man
ihm seine Empfindungen nicht anmerkte. Nagy, den er als
bornierten Schweinezüchter kennen gelernt hatte, dessen Rolle
im früheren Faunella-Team so undurchsichtig war – jetzt ein
Arbeitskollege. An diesen Gedanken musste man sich erst
gewöhnen. Die Forschungen sollen erfolgreich sein, und dazu
gehört Harmonie im Team. Und Sylvester konnte sich im
Augenblick sein Verhältnis zu Nagy nicht harmonisch
vorstellen.
Was hatte Marie gesagt? Nagy hätte nachgeholfen? Das
hieße, dass er die „technischen Ursachen“, die zum Abbruch
führten, mit geschaffen hatte. Und „nachgeholfen“ bedeutet
doch nichts anderes, als ein bewusstes Handeln.
Sylvester begriff die Entscheidung nicht. Er war überzeugt,
dass ihm durch seine Abwesenheit Informationen entgangen
waren, die er sich beschaffen würde, gleichgültig, ob er im
Verzug war oder nicht.
Da Marie sich wieder dem Plan zugewandt hatte, konnte er
nicht damit rechnen, dass sie weitere Hinweise geben würde.
Sylvester zuckte ärgerlich mit den Schultern und ging an
seinen Arbeitsplatz.
Kurz darauf begrüßte ihn Gio und übergab ihm ein Bündel
Papiere und Kassetten mit der Bemerkung: „Deine Kopie. Den
Termin hat sie dir sicher schon gesagt. Viel Freude!“ Und er
hatte die Türklinke bereits in der Hand, um wieder in sein
Zimmer zurückzukehren.
Sylvester hielt ihn auf. „Kannst du mir sagen, was sich hier
abspielt? Ich finde eine veränderte Situation vor, und jeder tut,
als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Schließlich
war ich keine drei Wochen weg!“
Gio hob die Schultern und drehte die Handflächen nach vorn.
„Er kam vor – drei Tagen, am Dienstag, bekam einen Platz
zugewiesen, wurde als neuer Mitarbeiter vorgestellt.
Wir wussten noch nicht einmal, dass es jener Nagy ist, mit
dem du zu tun hattest. Am Nachmittag gab es eine kurze
Beratung, die die Alte leitete. Umstände seien eingetreten, die
der Arbeit zugute kämen. Nagy habe eine Erklärung
abgegeben, die eindeutig die Ursachen des früheren Scheiterns
der Versuche als ,technisch’ kennzeichne. Damit bestehe keine
Veranlassung, die schon erreichten Ergebnisse zu verwerfen.
Nagy selbst werde seine Erfahrungen einbringen und später –
er habe sich an einem Platz zu rehabilitieren, den die
Gesellschaft für ihn auswählen werde
– die erste
Anwendungsphase einleiten. Wahrscheinlich unserer
verdutzten Gesichter wegen fügte die Alte dann hinzu: Das
massenhafte Absterben der damaligen Faunella-Kulturen sei
auf ein Versagen der Stromversorgung zurückzuführen. Nagy
habe diese Ursache verschleiert, damit indirekt den Abbruch
der Versuche verschuldet, ein Fehlverhalten also, das zu
sühnen er jetzt Gelegenheit erhalte. Wir sollten ihm helfen und
im Übrigen den durch die Leitung konzipierten Maßnahmen
vertrauen.“
Ramona-Ros bat, zu verstehen, dass sie näher auf
Vergangenes nicht eingehen wolle. Es sei erstens bereits viel
Zeit vertan und zweitens spiele Persönliches hinein, das
aufzufrischen niemandem nütze. Es hätte dies zu Nagys
unkorrektem Verhalten geführt. – „Ja, Syl, das war’s. Alles
andere weißt du so gut wie wir; du hast bisher nichts versäumt.
Und alles aus den alten Unterlagen braucht man nicht zu
studieren. Es wurde ausdrücklich betont, dass wir anknüpfen.
Das heißt für mich: dort beginnen, wo sie aufgehört haben.“
Mit diesen Worten ging Gio und ließ einen einigermaßen
ratlosen Sylvester Reim zurück, der sich irgendwie
hintergangen fühlte und unzufrieden.
Im Allgemeinen behauptete Sylvester von sich, dass er
unvoreingenommen handele, dass er die Fähigkeit habe,
Sympathie oder Antipathie weitgehend nach rationellen
Überlegungen zu steuern, nie nach dem Aussehen oder den
ersten Eindrücken zu gehen. Er pflegte Menschen erst dann zu
beurteilen, wenn er sie näher kannte, und auch dann fand er
sich stets zur Toleranz
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