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Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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dazwischen größer wurden, stellte sich
jedes Mal so ein inneres Ziehen ein. Er scheute sich, es
Sehnsucht zu nennen. Aber darüber die Kontrolle über sich
selbst verlieren, der Gesellschaft und sich Schaden zufügen,
über Jahre hinweg angeschlagen sein…?
Sylvester fühlte, dass sich das so einfach nicht abtun ließe.
Schließlich besaß Nagy vor den Ereignissen einen
ausgezeichneten Leumund als Fachmann und keinen
schlechten als Kollege. Ein humorvoller Mensch, wendig,
geschickt und intelligent, normal also. Ja – war es aber normal,
was er tat? Doch wohl nicht! Ist eine derartige
Empfindungstiefe normal, die Schranken niederreißt, die
jemanden die Erziehung der Gefühle vergessen lässt? ,Und bin
ich’, dachte Sylvester mit einigem Erschrecken, ,etwa nicht
normal, weil bei mir – jedenfalls bis jetzt – eine Basis für
derartige Ausbrüche fehlt? Nein!’ Er fühlte, dass er unter
keinen Umständen solcher Fehlhandlungen fähig wäre und
viele andere, die er kannte, auch nicht. Also empfand Nagy
anormal, abnorm egoistisch – oder besonders rückständig, oder
in seiner Erziehung gab es Lücken.
Sylvester fühlte sich erleichtert, zu einem Schluss gekommen
zu sein, zu einer für ihn plausiblen Erklärung, mit der er seine
Zweifel zerstreuen konnte, ob er sich Nagy gegenüber richtig
verhielt, wenn er trotz dieser Beichte reserviert blieb. Und
noch etwas empfand Sylvester, was ihn zur Zurückhaltung
gemahnte: Nagys Wandlung kam ihm ein wenig plötzlich.
Oder schien es ihm nur so, eben weil er sich nicht in den
anderen hineinversetzen konnte?
Sylvester sagte: „Wir sind Neulinge, sehen das sicher anders,
beziehungsloser. Mir erscheint dein Fall tragisch, aber er
betrifft mich nicht. – Verzeih, das klingt hart, aber ich meine es
so: Lass uns in der Aufgabe Gefährten sein. Keiner trägt dir
etwas nach. Ich beurteile dich so, wie du dich gibst, wie du
arbeitest, wie ich dich kennen lerne. Einverstanden?“ Sylvester
hielt seinem Gegenüber die Hand hin, die dieser ergriff, eine
Weile zu lange hielt, ehe er erwiderte: „Ich danke dir. Es ist
mehr, als ich erhofft hatte.“
Sylvester zog seine Hand zurück. „Komm, wir trinken noch
einen Schluck!“, forderte er Nagy auf. –
    Alexej Bolscha beobachtete, wie Mac genüsslich sein Steak
verzehrte. Er selbst hatte vorgetäuscht, keinen Hunger zu
haben, und saß, über Pläne gebeugt, am Arbeitstisch. Wohl
war Alexej nicht, aber er war überzeugt davon, dass er richtig
handelte, richtig auch in Macs Sinn, und er zwang sich, sein
Vorhaben konsequent zu Ende zu führen.
    Als Mac nach der Mahlzeit Anstalten traf, an den Videor zu
gehen, sagte Alexej – und er tat, als fiele es ihm plötzlich ein:
„Mac, das hätte ich beinahe vergessen: Sie haben dich zu
einem Erfahrungsaustausch nach Station vier eingeladen. Für
morgen schon, entschuldige.“
    Mac blieb stehen, runzelte die Stirn. Dann schüttelte er
unwillig den Kopf. „Wenn denen das nicht eher einfällt. Wir
sitzen hier doch nicht auf Abruf!“
„Entschuldige, Mac, mein Fehler. Die Einladung kam am
    Freitag. Ich habe sie verschwitzt. Heute, durch Zufall, in einem
Gespräch mit den Nachbarn, wurde ich daran erinnert. Und ich
hatte für dich auch zugesagt.“
    Über Macs Gesicht strich Ärger. „Passt mir aber gar nicht.
Ich wollte morgen…“ Er unterbrach sich, kratzte sich am
Kinn. „Ist schon gleich!“, brummte er dann. „Warum gerade
ich und nicht du?“
    Auf diese Frage hatte sich Alexej vorbereitet. „Es ist eine
Exkursion vorgesehen, und – die Außenarbeiten, na ja, das ist
nicht so mein Fall. Ich hätte nicht die Hälfte von deinem
Pensum geschafft!“
    „Du übertreibst!“ Aber Mac lächelte. Offenbar tat ihm das
Kompliment wohl. „Na gut! Hier mal rauszukommen, schadet
vielleicht auch nichts.“ Dann fragte er betont, für Alexej zu
betont, beiläufig: „Was machst du morgen?“, und er blickte
erwartungsvoll.
    Gleichgültig antwortete Alexej: „Ich werde hier mal
gründlich aufräumen, alte Unterlagen archivieren und
vernichten. Schließlich möchten wir uns langsam auf den
Abgang vorbereiten. Und wenn dann noch Zeit bleibt, entwerfe
ich das Umsetzzyklogramm für den Hang.“
Mac nickte. Er schien zufrieden. –
     
Obwohl Alexej sein Vorgehen oftmals durchdacht hatte,
plagten ihn nun doch Aufregung und Gewissensbisse.
    Er stand, viel zu früh, an der Regenmaschine und erwartete
einesteils mit Ungeduld den goldenen Schimmer, der
Sunnyboy vorausging, andernteils

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