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Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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aus dem provisorischen Koben vor dem Institutsgebäude in die
Gondeln „gebeten“ werden.
Sie verloren bereits bei der ersten Ladung eine halbe Stunde,
als ihnen ein Schwein, ein kräftiges, hochbeiniges, ausbrach
und schnurstracks in den Birkenwald rannte, der das
Institutsgebäude nach Süden begrenzte. Obwohl die
Bewegungsfreiheit des Tieres durch die Umfriedung begrenzt
wurde, hatten Nagy und Reim kaum noch Atem, als sie das
Schwein endlich in die Enge getrieben und mit einem Strick
um die Vorderbeine dingfest gemacht hatten. Alles geschah
unter grässlichem Gequieke, mit Zurufen, Gelächter, Rennerei
und Stürzen in den weichen Boden.
Die halbe Institutsbesatzung hängte in den Fenstern, rief
lachend Ratschläge, von denen einer besser als der andere war,
und man amüsierte sich köstlich.
Die Stimmung wurde auch nicht gedämpft, als Reim und
Nagy den Ausreißer erwischt hatten und den Aufgeregten, der
ärgerlich grunzte, wieder zurück in die Halle bugsierten; denn
für den Transport kam er nun nicht mehr in Frage, da er die
Sterilzone, ebenso wie seine beiden Häscher, verlassen hatte.
Nagy und Reim ließen deshalb, obwohl sich erst 87 Tiere in
der Gondel befanden, das Luftschiff starten und begaben sich
in den Badetrakt. Später ging Reim mit Nagy in den
Büfettraum. Sie aßen eine Kleinigkeit, dann trat Sylvester ans
Fenster und blickte hinaus. Schräg links befand sich der
Koben. Die meisten Tiere lagen jetzt träge in der
Vormittagssonne, einige versuchten vergeblich, den
Kunststoffbelag des Bodens mit dem Rüssel umzuackern, ein
Bild des Wohlbehagens, des Sattseins. Die Aufregung vor
einer Stunde, als das Riesenungeheuer Luftschiff die Sonne
verdunkelte, hinterließ in diesen Hirnen keine Spuren.
,Wie werdet ihr in vier Monaten aussehen, euch verhalten?’
Sylvester dachte diese Frage, und erneut kam ihm Conny
Higgs in den Sinn, die Frau, die aus Überzeugung seinerzeit
ein hochinteressantes Aufgabengebiet und die Kollegen
verlassen hatte.
Es hatte seit damals, als Sylvester aus dem Urlaub
zurückgekehrt war, keine Diskussion mehr zu diesem Thema
gegeben. Manchmal wurde Sylvester durch den gutmütigen
Spott eines Gefährten an jene Aussprache erinnert. Erst
neulich, als er mit Nagy die letzten Schweine impfte und Marie
ihnen hinter der Scheibe zusah, hatte sie ihn mit unschuldigernster Miene gefragt, ob er es mit seiner Anschauung
vereinbaren könne, den armen Tieren eine Nadel durch die
Haut zu jagen, gar um sie grün zu färben.
Nach wie vor war sich Sylvester nicht schlüssig über seine
Haltung. Er spürte nur, tief im Inneren, einen Widerstand
gegen das, was sie machten. Und doch konnte er ihn nicht
formulieren, schon gar nicht in überzeugende, beweiskräftige
Argumente umwandeln. Er dachte daran, dass die Menschen
bisher immer das getan hatten, was ihnen nützte, ohne Skrupel,
manchmal auf Umwegen. Und meist hatte es sich

glücklicherweise – auf lange Sicht zum Besten gewendet.
Früher wurde fast jede Neuerung erst einmal fürs Militär
erprobt, mit dem Effekt, dass der zivile Sektor mindestens
zehn Jahre hinter der technisch-wissenschaftlichen
Entwicklung einher hinkte. Das Atom, mehr als ein halbes
Jahrhundert Damoklesschwert, wurde deshalb nicht verbannt,
ebenso wenig wie die Gentechnik, die oft genug als größere
Gefahr verteufelt wurde.
,Und da stecken wir nun mittendrin’, dachte Sylvester.
,Wohin wird diese Entwicklung führen? Werden sich die
Menschen damit begnügen, Tierdoubles herzustellen, das
Größenwachstum zu beeinflussen – weil die Zucht von Fleisch
auf natürlichem Wege noch immer wesentlich billiger
vonstatten geht als auf künstlichem? Aber wie sieht es bei den
Pflanzen aus? Warum, zum Teufel, sind wir bei Pflanzen
weniger zimperlich?’ Sylvester fielen mindestens ein Dutzend
Arten ein, die es vor einem Jahrzehnt noch nicht gegeben hatte.
Ohne diese gäbe es keine Futtergrundlage für die größeren
Tiere, aber auch keine höheren Getreideerträge. Warum sollte
es bei Tieren anders sein? Weil sie uns in der
Entwicklungsreihe näher sind? Oder weil die Angst
dahintersteckt, dass am Ende der – Mensch steht?’
Manchmal suchte Sylvester eine Vision heim: Olivfarbene
Menschen liegen wohlig in der Sonne, saugen ab und an
mineralhaltiges Wasser aus einem Trinkröhrchen.
Erfrischender Sauerstoff, nährende Kohlenhydrate bauen sich
auf im Körper, photosynthetisch, kraftspendend. Ein Frühstück
sozusagen…
,Und, Sylvester, die Grenzen sind doch

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