Die Maschen des Schicksals (German Edition)
„Ein Bürojob wäre fürchterlich“, sagte sie. Es war unvorstellbar für sie, sich jemals an einen Acht-Stunden-Trott zu gewöhnen.
„Du solltest einfach mal was nur für dich machen“, beharrte Annie. „Damit meine ich keinen Job.“
Jeder, den Bethanne kannte, sogar der Anwalt, den sie vor Kurzem getroffen hatte, riet ihr das Gleiche. „Seit wann bist du denn so schlau?“, scherzte sie.
„Gibt es nicht irgendwas, das du gern tun würdest, nur so aus Spaß?“
Bethanne zuckte die Schultern. „Du würdest lachen und mir wieder erklären, das wäre albern.“
„Was denn?“
Sie seufzte, nicht sicher, ob sie es sagen wollte. „Ich habe neulich ein Wollgeschäft gesehen und dachte daran, wie gern ich mal wieder stricken würde. Es ist schon Jahre her. Ich habe dir mal eine Babydecke gestrickt, erinnerst du dich noch?“
„Mom!“, rief Annie und sah dabei fast peinlich berührt aus. „Natürlich erinnere ich mich. Ich habe ja bis zu meinem zehnten Lebensjahr unter dieser gelben Decke geschlafen.“
„Ich habe gerne gestrickt, aber das ist lange her.“
Die Eingangstür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Es war Andrew, der von seinem Halbtagsjob im Supermarkt kam. Er betrat die Küche, legte den Rucksack ab, öffnete, ohne ein Wort zu seiner Mutter oder seiner Schwester zu sagen, den Kühlschrank und starrte hinein. Offensichtlich schien ihn außer eine Flasche Sodawasser nichts zu interessieren. Er nahm sie heraus, schloss die Tür, lehnte sich dagegen und sah die beiden stirnrunzelnd an.
„Was geht hier vor?“, fragte er und sah von Bethanne zu seiner jüngeren Schwester.
„Mom meinte gerade, dass sie wieder stricken will“, berichtete Annie.
„Ich habe nur mal daran gedacht“, beeilte sich Bethanne hinzuzufügen.
„Das kannst du doch machen“, erklärte Annie voller Überzeugung.
„Ja, klar“, stimmte ihr Andrew zu und öffnete den Verschluss seiner Flasche.
Aber Bethanne war sich nicht sicher, ob sie dazu in der Lage war. Es schien ihr alles zu viel Energie zu kosten – eine Arbeit finden, ihr Leben organisieren und dazu noch das Stricken. „Vielleicht mach ich’s“, murmelte sie unschlüssig.
„Du wirst es nicht hinausschieben, so wie alles andere.“ Annie öffnete die Vorratskammer und holte die Gelben Seiten hervor. „Wo war dieses Wollgeschäft?“
Bethanne biss sich auf die Unterlippe. „Blossom Street.“
„Erinnerst du dich an den Namen des Ladens?“, fragte Andrew.
Annie blätterte im hinteren Teil des dicken Verzeichnisses.
„Nein, aber seht mal …“
Mit dem Finger auf einer Seite blickte Annie auf, ihre Augen funkelten entschlossen. „Hab’s gefunden.“ Sie warf ihrem Bruder ein triumphierendes Lächeln zu, nahm das Telefon und tippte die Nummer ein, bevor Bethanne protestieren konnte. Als sie fertig war, reichte sie ihrer Mutter den Hörer.
Die freundliche Stimme einer Frau war zu hören. „A Good Yarn“, meldete sie sich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Also, hallo … Mein Name ist Bethanne Hamlin. Obwohl es ja auch egal ist, wie ich heiße, aber na ja, ich wollte wissen, ob Sie immer noch die Strickkurse anbieten.“ Sie schwieg kurz, um Luft zu holen. „Ich habe vor Jahren gestrickt“, fuhr sie fort, „aber das ist ja schon eine ganze Weile her. Vielleicht wäre es besser, wenn ich in Ihren Laden komme.“ Bethanne sah zu ihrer Tochter hoch.
„Gib mir mal das Telefon.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, griff Annie danach und hörte der Frau am anderen Ende der Leitung zu.
„Ja, das klingt gut. Schreiben Sie sie ein“, sagte sie schließlich, griff nach Stift und Papier, um die Einzelheiten zu notieren. „Sie wird da sein.“ Dann legte Annie auf.
„Du hast sie zu einem Kurs angemeldet?“, fragte Andrew.
„Genau.“
„Ich, also …“ Plötzlich dachte Bethanne voller Panik an die Kosten. „Hört zu, das ist vielleicht doch nicht so eine gute Idee, weil …“
Ihre Tochter unterbrach sie. „Du lernst, Socken zu stricken.“
„Socken?“, rief Bethanne und schüttelte den Kopf. „Das ist viel zu kompliziert für mich.“
„Mom“, mischte sich Andrew ein, „du hast doch die ganze Zeit gestrickt, oder nicht?“
„Die Ladeninhaberin meint, Socken stricken wäre nicht so schwierig“, fuhr Annie fort. „Sie heißt übrigens Lydia Hoffman, und sie behauptet, das wäre ganz einfach.“
„Na gut“, murmelte Bethanne.
„Mom, du gehst hin, und ein Nein werde ich nicht akzeptieren.“
„Du gehst“,
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