Die Maschen des Schicksals (German Edition)
darin, dass sie sich schämte. Und dieses Gefühl hatte sich in Wut gegen Courtney gewandelt. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Andrew nie erfahren, dass sie bei dem Rave gewesen war. Andererseits hätte Annie ernsthafte Probleme bekommen können. Es waren schon Jugendliche an Ecstasy gestorben; Courtney hatte von solchen Fällen in Chicago gehört.
„Courtney“, rief Grams von unten.
„Ja!“, rief sie zurück und stieg langsam vom Bett. Sie ging zur Treppe, damit ihre Großmutter nicht so zu schreien brauchte.
„Ist alles in Ordnung da oben? Deine Freundin hatte es ziemlich eilig.“
„Alles ist okay“, versicherte ihr Courtney.
„Ich bin froh, dass du eine Freundin hast.“ Grams lächelte zu ihr hoch. „Ich bin auf dem Weg zum Meeting der Missionsgesellschaft. Willst du mitkommen?“
„Hast du was dagegen, wenn ich stattdessen mit dem Fahrrad losfahre?“ Sie hatte wirklich keine Lust, Klamotten zu sortieren, die nach China verschifft werden sollten. Vielleicht wäre es ja in ein paar Jahren spannender, mit den Freunden ihrer Großmutter zu plaudern, aber im Moment fand sie es eher langweilig. Sie redeten nur über Schmerzen und Krankheiten.
„Wohin fährst du?“, wollte Grams wissen.
Nachdem ihr Vater sie vor drei Jahren praktisch von der Leine gelassen hatte, fand sie es ziemlich anstrengend, vor ihrer Großmutter ständig Rechenschaft abzulegen. „Ich dachte, ich fahre mal im Wollgeschäft vorbei und bringe ihnen die Teile für die Patchwork-Decke, die du gestrickt hast.“ Das gab ihr ein Ziel, und es war ein Vorhaben, das ihre Großmutter sicher befürwortete.
„Ach ja, das wäre nett. Richte Lydia Grüße von mir aus.“
„Mache ich.“
Courtney griff nach ihrem Helm und den Handschuhen und lief die Treppe hinunter. Sie war dermaßen frustriert, dass sie es kaum aushielt. Nachdem sie sich bemüht hatte, das Richtige zu tun und Annie zu helfen, hatte sie nur Beleidigungen zum Dank geerntet. Beim Radeln würde sie vielleicht ihre Wut abreagieren können.
Es half nicht gerade, dass sie wieder ein Pfund mehr gewogen hatte, als sie an diesem Morgen auf die Waage gestiegen war. Nach einer ganzen Woche des Verzichts hätte sie mindestens eins abnehmen sollen statt draufzulegen.
„Wann wirst du zurück sein?“, erkundigte sich Grams, als Courtney auf dem Weg zur Garage durch die Küche kam.
„Sehr bald.“
„Hast du Geld dabei?“
„Ja.“ Sie hielt sich nicht länger als nötig auf, um keine weiteren Fragen beantworten zu müssen. Courtney wollte nur weg. Sie wollte sich den Wind um die Nase wehen lassen und die Sonne im Rücken spüren, während sie in die Pedalen trat. Zum Teufel mit Annie. Sie hatte versucht zu helfen und mit ihr zu reden. Und sie hatte Annie mehr über ihre Mutter erzählt als jemals jemand anderem vorher. Aber das war reine Zeitverschwendung gewesen.
Courtney war außer Atem, als sie die Blossom Street erreichte. Kaum bog sie um die Ecke, kam „A Good Yarn“ in Sicht und auch das French Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im Schaufenster waren verschiedene Kuchen und Torten ausgestellt.
Sie fuhr etwas langsamer und hielt vor dem Wollgeschäft. Während sie sich bemühte, der Konditorei den Rücken zuzuwenden, sah sie Whiskers im Schaufenster vom Strickladen zusammengerollt liegen und tief und fest schlafen. Lydia schien gerade mit einer Kundin beschäftigt; Margaret ebenso. Wenn Courtney jetzt in den Laden ginge, hätte keine von beiden Zeit, mit ihr zu reden. Wie magisch angezogen drehte sie sich zum French Café und seinen Torten und Kuchen um.
Letzte Woche hatte Bethanne davon geschwärmt, wie köstlich die Schokoladen-Eclairs seien, die es dort gab. Lydia hatte daraufhin die Croissants erwähnt, aber zugegeben, dass sie die Eclairs ebenfalls am liebsten mochte. Das klang so, als würde sie diese Dinger dutzendweise verschlingen. Wenn dem so war, dann hatte sie trotzdem kein Gramm dabei zugelegt.
Courtney hatte sich praktisch die ganze Woche zu Tode gehungert und dennoch zugenommen. Es war schwer genug, diese Diät durchzustehen, die inzwischen noch mehr Anfangsbuchstaben auf der Verbotsliste verzeichnete. Keinen Erfolg dabei zu haben, ließ Courtneys Motivation allerdings in den Keller sinken.
Sie lugte erneut in den Strickladen und dann zurück zur Konditorei. Der Kuchen war nicht das Einzige, von dem Lydia gesprochen hatte. Sie erzählte allen stolz, dass eine Teilnehmerin aus ihrem ersten Strickkurs eine der Konditoren wäre.
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