Die Maske des Meisters
Mann, der weiß, was er will .
Claires Herz machte einen Sprung, als sie die Zeile las. Genau so einen Mann hatte sie gesucht, einen, der nicht ständig fragte, was ihre Wünsche waren, was er für sie tun konnte und ob sie ihn noch liebte. Sie wollte einen Kerl, der ihr Respekt entgegenbrachte und dem sie sich beim Sex mit Haut und Haaren hingeben konnte.
Vali besaß so eine Art, meinte sie herauszuhören. Er schien intelligent zu sein, versuchte nicht, sie zu einem Treffen zu überreden oder gleich Cybersex zu haben, sondern sie lernten sich langsam kennen, ihre Gedanken und Gefühle. Fast ging es Claire nicht schnell genug.
Doch noch war sie vorsichtig, denn ein Mann, der wusste, was er wollte, konnte auch jemand sein, der über Leichen ging, um sein Ziel zu erreichen.
VALI: Gefällt dir das, oder macht es dir Angst?
NYMPHAE: Wenn du damit meinst, dass du selbstbewusst bist, lautet die Antwort Ja .
VALI: Geschickt formuliert. Ich bin kein Egomane, falls das deine Bedenken sind. Wer bist du?
Seltsamerweise hatte Claire nicht mir dieser Frage gerechnet. Sie fühlte sich überrumpelt. Noch wollte sie ihre wahre Identität nicht preisgeben.
VALI: Ich meine nicht deinen realen Namen und deine Adresse, Nymphe, sondern wie siehst du dich?
Claire merkte erst jetzt, dass sie beim angestrengten Grübeln die Luft angehalten hatte, und atmete nun erleichtert aus. Jetzt oder nie, dachte sie sich, und schrieb mutig, was ihr auf dem Herz lag.
NYMPHAE: Ich möchte Abenteuer erleben .
VALI: Auch erotische?
NYMPHAE: Ja .
VALI: Du hast Träume, richtig? Wünsche, Vorstellungen … Fantasien .
NYMPHAE: Woher willst du das wissen?
VALI: Weil du zaghaft und kurz geantwortet hast, als hättest du Angst, mit jedem Wort, das du schreibst, etwas über deine Fantasien zu verraten. Lass mich dein Beichtvater sein. Du weißt doch, wir tragen Masken. Wenn wir uns ausloggen, kehrt jeder in sein Leben zurück, die Beichte bleibt im LoveSpot zurück und hat keinerlei Auswirkungen auf das echte Leben .
Er hatte ja recht. Nun war Claire so nervös, dass sie doch wieder nach dem Schokoriegel griff und ein Stück abbiss. Schokolade beruhigte, und die leeren Kalorien sah man im LoveSpot nicht, noch ein Vorteil. Es fiel ihr nicht leicht zu tippen.
NYMPHAE: Ich träume davon, mich einem Mann hinzugeben, richtig hinzugeben .
Er antwortete nicht. Dachte er nach, ob es auch das war, was er wollte? Oder gab er ihr Zeit, ihre Enthüllung in Worte zu fassen? Vielleicht verstand er auch nicht, was sie meinte, denn sie hatte ihr Bekenntnis so vage formuliert, das es alles bedeuten konnte.
NYMPHAE: Mich fallen zu lassen, ihm zu gehören .
Sie schluckte den Bissen Schokoriegel herunter.
NYMPHAE: Ganz und gar ihm zu gehören .
VALI: Sein Besitz zu werden?
NYMPHAE: Das klingt zu krass .
VALI: Die Kontrolle abzugeben?
Sie zögerte.
NYMPHAE: Für den Augenblick, ja. Ich möchte mich einem Mann unterwerfen .
Hoffentlich benutzte sie die richtigen Begriffe.
VALI: Dazu braucht es großes Vertrauen. Kontrolle kann missbraucht werden. Der Chat ist nicht der richtige Ort, um nach einem dominanten Partner zu suchen, womit wir wieder bei den Masken wären. Zu viele Chatter spielen ein falsches Spiel, schlüpfen in Identitäten und Charaktere, die sie im Alltag nicht sind. Hier gaukelt dir jeder etwas vor, nur um zum Schuss zu kommen .
NYMPHAE: Was ist mit dir?
VALI: Ich möchte dich beschützen .
Claire spürte, wie Wärme sie durchflutete, doch diese hatte nichts mit der Nachmittagssonne zu tun, sondern kam von tief innen und umspülte ihr Herz und ihren Schoß.
VALI: Mit wie vielen anderen männlichen Chattern stehst du in Kontakt?
Claire dachte einen kurzen Moment darüber nach, ob sie ihm ins Gesicht schleudern sollte, dass ihn das nichts anging, tat es dann aber doch nicht.
NYMPHAE: Nur mit dir. Die anderen haben mich sofort bereits virtuell besprungen. Wie sollte das erst bei einem realen Treffen werden? Aber ich habe ja selbst Schuld. Wer einen erotischen Nickname wählt, hat es nicht anders verdient .
Sie erinnerte sich daran, dass er sie einige Zeit ohne ihr Wissen beobachtet hatte. Immer noch bekam sie bei dem Gedanken eine Gänsehaut. Es war ihr unheimlich. Sie fühlte sich verfolgt und ausspioniert. Doch langsam änderte sich ihre Einstellung, und die Gänsehaut wurde wohlig prickelnd, denn Vali hatte ihr ehrlich erzählt, dass er ein Auge auf sie geworfen hatte, und er wollte sie beschützen.
VALI: Warum hast du ihn nicht
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