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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Unternehmen kann selbst zu einem perversen System werden, wenn der Zweck die Mittel heiligt, wenn es zu allem bereit ist, um seine Ziele zu erreichen und nicht einmal davor zurückschreckt, Menschen zu zerstören. Auf der Ebene der Arbeitsorganisation kann sogar mittels eines perversen Prozesses die Lüge dem Aufbau des Unternehmens dienen.
    In einem wettbewerbsorientierten Wirtschaftssystem sind zahlreiche Führungspersönlichkeiten ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen und halten sich nur durch ein zerstörerisches Abwehrsystem auf ihrem Posten, indem sie sich weigern, die menschliche Komponente zu berücksichtigen ihrer Verantwortung ausweichen und mit Hilfe von Lüge und Angst «regieren». Die perversen Methoden eines einzelnen können von einem Unternehmen ganz bewußt ausgenützt werden, um damit eine Ertragssteigerung zu erzielen. Genau das ist geschehen in der Fabrik Maryflo, einem kleinen Konfektionsbetrieb im Morbihan.
    In dieser Fabrik ist das gesamte Personal weiblich, einschließlich der Generaldirektorin. Der einzige Mann ist der Geschäftsführer. Dieser kleine Chef verachtet, demütigt, verletzt und beschimpft das Personal unter Berufung auf den Ertrag. Seine Methoden: die Arbeiterinnen quälen, um die Leistung zu steigern, die Pausenzeit mit der Stoppuhr messen, herunterputzen – all das mit dem geheimen Einverständnis der Generaldirektorin, die diese Methoden zwar kennt, aber nichts daran auszusetzen hat.
    Die Arbeiterinnen streikten schließlich, aber noch vor Ausbruch des Arbeitskampfes, der sechs Monate dauern sollte, filmen Kameras für die Sendung «Strip-tease» (France 3) diese Fabrik und nehmen dabei auch den Geschäftsführer auf. Obwohl er weiß, daß er gefilmt wird, ändert er seine demütigenden Methoden nicht: Er hält sie für legitim. Nicht einen Moment lang zweifelt er an sich. Als der Streik ausbricht, am 9. Januar 1997, gehen 85 der 108 Angestellten aus der Fabrik auf die Straße, um die Entlassung des Geschäftsführers zu fordern. Am Ende erreichen sie ihr Ziel, aber 64 Arbeiterinnen werden entlassen. Der entlassene Geschäftsführer jedoch, dessen Methoden von den Medien deutlich gezeigt worden waren, findet umgehend eine neue Anstellung – in einer doppelt so großen Fabrik.
    Die Macht ist eine furchtbare Waffe in den Händen eines perversen Individuums (oder Systems).
     
    Clemence ist eine junge und hübsche Frau, mit Diplom einer Handelsschule und einer Spezialausbildung im Fach Marketing. Nach Abschluß ihres Studiums fand sie nur einen befristeten Arbeitsplatz, danach mußte sie lernen, was Arbeitslosigkeit bedeutet. Es ist für sie also eine große Erleichterung, als sie eingestellt wird als Verantwortliche für Marketing und Kommunikation von einer aufstrebenden Firma, deren Generaldirektor bis dahin diese Funktion wahrgenommen hatte. Sie ist die einzige Frau in leitender Stellung – zunächst unter der Verantwortlichkeit eines Gesellschafters, der sich aber entscheidet wegzugehen, und dann ist sie unmittelbar dem Geschäftsführer unterstellt.
    Von dem Augenblick an entpuppt sich dieser als Rüpel: «Das taugt überhaupt nichts, was Du da gemacht hast!» «Man möchte meinen, du verstehst nichts von Marketing!» Nie hat man mit ihr in dieser Art und Weise gesprochen, aber sie wagt nicht, etwas zu sagen, weil sie Angst hat, eine Stelle zu verlieren, die sie ja eigentlich interessiert.
    Wenn sie Anregungen gibt, eignet er sie sich blitzartig an und macht ihr klar, sie sei zu nichts nütze, weil sie nie Vorschläge mache. Wenn sie Einwände erhebt, empört er sich: «Du hältst die Klappe und erledigst, was man Dir aufträgt!» Nie verlangt er etwas direkt: Er schmeißt ihr eine Akte auf den Schreibtisch mit einer Notiz, was sie zu tun habe. Nie hat er ein Wort der Anerkennung für gute Leistung oder gar ein Wort der Ermunterung.
    Die Vertreter des Unternehmens, zum größten Teil Männer, die sich mit ihrem Geschäftsführer identifizieren, machen sich nun ihrerseits daran, in üblen Tönen mit ihr zu sprechen und ihr aus dem Weg zu gehen. Da die Büros nicht durch Zwischenwände abgeteilt sind, bespitzelt jeder jeden. So ist es sehr viel schwieriger, sich zu schützen.
    Eines Tages wagt sie, mit dem Geschäftsführer über die Situation zu reden. Er antwortet nicht und schaut woanders hin, als habe er nichts gehört. Als sie beharrt, stellt er sich dumm: «Ich verstehe nicht!»
    Obgleich ihre Tätigkeit vor allem auf Kommunikation beruht, untersagt man ihr, die Leute

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