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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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Sonnenmaske. Er schritt durch die Zuschauermenge und sang dabei ein leises, gurrendes Lied, wie es die Frauen am Spinnrad singen. Durch dieses Lied wurde Adam in den Schlaf gelullt, was allerdings einige Zeit in Anspruch nahm; denn sobald die Schlange beim Gesang innehielt, fuhr der beinahe schon schlafende Adam ruckartig empor, was die Schlange mit Ungeduld erfüllte, und sie wandte sich zum Publikum, um das Zeichen der Ungeduld zu machen, indem sie die Hände mit emporgereckten Fingern bis in Schulterhöhe hob und den Kopf langsam und steif von Seite zu Seite drehte.
       Während die Leute das Bemühen der Schlange verfolgten, Adam zum Schlaf zu verleiten, näherte Eva sich leise an der Seite des Hofes, den Kopf in ein dunkles Tuch gehüllt. Als Adam endlich schlief, schwankte Gott auf seinen Stelzen nach vorn, hob den rechten Arm und machte das Zeichen der Zauberei, indem er die Hand im Gelenk drehte, worauf Eva ihr Tuch fallen ließ und in gelber Perücke und weißem Umhang in den helleren Bereich der Bühnenfläche trat und damit geboren ward. Auch ihre Beine waren bloß. Beim Publikum rief sie durch ihre Eitelkeit, ihre gezierten Gesten und ihren Knabenhintern ein geiles Gelächter hervor, während sie vor Adam auf und ab stolzierte, wenn Gott gerade mal nicht hinschaute. Als dieser sich schließlich zurückzog, um sich zur Ruhe zu begeben, begann eine Art Fangenspielen zwischen Adam und Eva; er griff mit plumpen Fingern nach ihr, und sie wich ihm aus.
       Nun war es an der Zeit für mich, dem Satan zu folgen, der von Tobias in demselben roten Gewand gespielt wurde, das auch dem Herodes als Kostüm diente; dazu trug Tobias eine äußerst abstoßende Maske in Gelb und Rot mit vier Hörnern. Ich zischte, fuchtelte mit dem Dreizack und machte Ausfälle gegen das Publikum, wobei ich meinen dornenbewehrten Schwanz auf und ab wippen ließ. Diese Darbietung vollführte ich mit viel Energie und Schwung, und sie zeitigte auch einige Wirkung – eine Reihe von Zuschauern zischte zurück, ein Kind begann laut zu weinen, und die Mutter des Kleinen warf mir Schimpfworte an den Kopf. Ich wertete dies als Erfolg, meinen ersten als Schauspieler. Dann aber wurde mir wieder bewußt, daß die Zahl der Zuschauer eher kläglich war und daß dies auch den anderen nicht entgangen sein dürfte.
       Schließlich war es Zeit, in den Schuppen zurückzueilen, um in die Maske und den buntgescheckten Anzug des Teufelsnarren zu schlüpfen und das Tamburin zu nehmen; denn der Satan zieht sich grollend in die Hölle zurück, als Eva sich anfangs weigert, die Frucht zu nehmen, und er muß deswegen besänftigt werden. Ich spürte die Feindseligkeit des Publikums, als ich vorbeiging. Ein Mann versuchte gar, mir die Dämonenmaske vom Gesicht zu reißen, doch ich wich ihm aus. Trotz der abendlichen Kälte schwitzte ich.
       Im Schuppen befand sich nur Gott, der auf dem Stroh saß und Bier trank. Er machte einen niedergeschlagenen Eindruck und redete kein Wort mit mir. Es brauchte kaum mehr als eine Minute, mich des Dämonenkostüms zu entledigen und das Gewand des Narren samt Schulterstücken, Kappe und Schellen anzuziehen. Doch diese kurze Zeit genügte, daß ich mir wieder Brendans Gesellschaft unter dem Haufen Stroh in der Ecke bewußt wurde. Die Maske, die ich jetzt trug, war gänzlich weiß – ein volles Gesicht mit einem langen Nasenstück, das wie der Schnabel eines Vogels aussah. Ich schüttelte die Schellen und schlug das Tamburin, während ich zwischen den Zuschauern hindurch zurück zur Bühnenfläche ging. Jetzt war ich eine andere Gestalt; die Leuten haßten mich nicht. Sie betrachteten mich jetzt als Spaßvogel, nicht als Dämon. Während ich so durch die Reihen des Publikums ging und meine Schellen schüttelte und die Zuschauer lächeln sah, wurde mir deutlich, was alle Schauspieler irgendwann einmal sehr genau erfahren: wie schnell bei den Menschen Zuneigung und Haß wechseln und wie sehr die Leute sich von Täuschung und Verkleidung beeinflussen lassen. Mit einer gehörnten Maske und einem hölzernen Dreizack entfachte ich die Furcht vor dem Höllenfeuer in ihnen. Zwei Minuten später, wenngleich dasselbe ängstliche Geschöpf, das ich zuvor gewesen war, diesmal jedoch mit Narrenkappe und weißer Maske, war ich ihre Hoffnung auf Gelächter.
       Doch entdeckte ich auch die Gefahr der Verkleidung für den Schauspieler. Eine Maske verleiht die schreckliche Gabe der Freiheit; man vergißt sehr leicht, wer man ist. Und dies

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