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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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sündhaft, von Gott zu reden, als wäre er nicht mehr als eine Stimme unter vielen.«
       Er lächelte über meine Empörung, doch in diesem Lächeln lag kein Spott. Es war träge und legte sich langsam auf sein Gesicht, was gar nicht zu seiner sonst so angespannten Miene paßte. »Auf irgendeine Weise müssen wir dem Publikum schließlich Gott zeigen, wenn wir ihn in einem Stück auftreten lassen«, sagte er. »Betrachten wie ihn einfach als mächtigen Edelmann, als Herrn über riesige Ländereien. Adam und Eva sind seine Pächter und ihm zu Dienst verpflichtet. Doch sie erfüllen ihre Gehorsamspflichten nicht und begehren ihr Pachtland als eigenen Besitz. Wenn Gott ihnen alles gewährt, was sie begehren, hat er kein Mittel mehr, mit dem er strafen kann, und was ist dann von seiner Macht übrig?«
       Das war noch unerhörter, und ich stand auf, doch wieder lächelte Martin, hob die rechte Hand in Gottes Geste des Schweigengebietens und sagte: »Du hast deine Sache heute abend gut gemacht, Nicholas, wenn man bedenkt, daß es dein erster Auftritt war. Zum Schluß bist du zwar übel gestürzt, doch den Satan mit seinen eigenen Worten zu bedrängen war ein kühner Einfall. Deine Gesten waren klar und deutlich, und du bist gewandt um den Teufel herumgeschritten. Das haben wir alle so empfunden.«
       Diese Worte ließen mich die Meinungsverschiedenheit vergessen, und ich spürte, wie mein Herz vor Freude schwoll. Daß Martin mich mit Interesse beobachtet hatte und daß ihm aufgefallen war, was ich getan hatte, war mir noch wichtiger als das Lob selbst. Er verstand es, sich beliebt zu machen, selbst durch seine Gotteslästerungen. Dabei betrachtete er sich gar nicht als gotteslästerlich – nicht, wenn er über die Schauspielerei sprach. Für ihn war das Leben auf der Bühne klar getrennt vom Leben außerhalb, das seine eigenen Regeln hatte, was Verhalten und Sprache betraf: Regeln, denen sich alle Menschen zu beugen hatten, ob stark oder schwach, ob von hohem oder niedrigem Rang. Damals erkannte ich nicht die Gefahr, welche dieser Ansicht innewohnt; möge der Herr mir meine Dummheit vergeben.
       Stille senkte sich über uns, als wir uns nun in der Wärme des Feuers entspannten. Ich dachte an unser Stück von Adam und an jenen Garten, den unsere ersten Eltern der Versuchung durch Satan wegen verloren hatten. Im Unterschied zu den meisten anderen weiß ich, wo sich dieser Garten befindet. In der Bibliothek der Kathedrale von Lincoln, wo ich das Amt eines Subdiakons ausgeübt hatte, gibt es eine Landkarte, welche die Lage des Gartens zeigt: Er befindet sich am äußersten östlichen Rand und ist durch einen riesigen Berg vom Rest der Welt praktisch völlig abgetrennt. Gott pflegt den Garten noch heute und geht manchmal abends darin spazieren. Inzwischen ist der Garten leer und wartet darauf, daß die Heiligen ihn wieder in Besitz nehmen. Ich fand es immer merkwürdig, daß ein solcher Garten leer sein kann, und wie wunderschön es doch sein muß, sich dort der Gesellschaft der Gebenedeiten zu erfreuen, zwischen Wohnstätten aus Jaspis und Kristall umherzuwandeln und durch Haine zu schlendern, in denen alle Arten von Bäumen und Blumen wachsen, wo Vögel aus nimmermüden Kehlen singen, wo es tausend Düfte gibt, die nie vergehen, und wo Flüsse über funkelnde Klippen und Sandbänke strömen, die heller glänzen als Silber. Nie kommt Kälte dorthin noch Wind, noch Regen. Es gibt keinen Kummer dort, keine Krankheit und keinen Verfall. Der Tod selbst kann jenen hohen Berg nicht überschreiten. Und das alles hatten wir auf dem Hof eines Wirtshauses dargestellt – mit einem Baum, der aus einer Holzplatte ausgesägt war, und einem rot angemalten Apfel aus Papier, und für kurze Zeit hatten Menschen das alles tatsächlich fürs Paradies gehalten. Ich habe sagen hören, daß der Berg, hinter dem der Garten liegt, so hoch ist, daß er die Sphäre des Mondes berührt, doch fällt es schwer, dies zu glauben, da ja eine Mondfinsternis die Folge sein müßte …
       Ich war fast eingeschlafen, als Martin sich erhob und zu mir kam und mich bat, einen Spaziergang mit ihm zu machen, wobei er so leise sprach, daß keiner der anderen ihn hören konnte. Ich erhob mich unverzüglich.
       »Nach einem Auftritt kann ich nicht still sitzen oder es längere Zeit an einer Stelle aushalten«, sagte er, als wir den Hof des Wirtshauses überquerten. »In Gedanken bin ich noch zu sehr mit unserer Vorstellung beschäftigt, und die

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