Die Masken der Wahrheit
Margaret davon.
Wir anderen unterhielten uns ein wenig über das Stück. Straw, der sich selbst nicht leiden konnte, machte seine Person für den dürftigen Publikumszuspruch verantwortlich und versuchte nun, den anderen die Schuld daran in die Schuhe zu schieben. Bedrückt saß er da, die Arme um die Knie geschlungen, und tat seine Meinung kund, daß Gott bei seinem Auftritt gar kein Ende habe finden können und daß Satan zu harmlos gewesen sei. »Es war nicht genügend Schwung dabei «, sagte er. »So lange können die Leute nicht zuhören.«
»Sie können sehr wohl zuhören, wenn sich das Zuhören lohnt«, entgegnete Tobias, den diese Kritik an seiner Schauspielkunst erboste. »Immer wollt ihr alles mit einer einzigen Geste sagen«, erklärte er, »dabei ist es das Zusammenwirken von Wort und Gebärde, die ein Spiel ausmachen. Doch heute abend war es nicht unsere Schuld; die Akrobaten haben uns das Publikum weggenommen.« »Die Eva kann ohne Worte gespielt werden«, sagte Springer. Er hatte sich neben Straw gesetzt, und sie teilten sich die Decke. »Und so habe ich’s gemacht.«
»Die Eva, ja«, sagte Martin. »Und der Adam ebenso. Sie sind ja auch keine Figuren, sie sind bloß ein Mann und eine Frau. Gott und der Teufel aber, die brauchen Worte.« Im Fackelschein wirkte sein Gesicht hager und abgezehrt. Die hohen Jochbögen und die schmalen Augen verliehen ihm das Aussehen eines Wolfes; und die Art und Weise, wie er sich vorbeugte und die Schultern gegen die Kälte hochzog, verstärkte diesen Eindruck. Mir fiel auf, wieviel Einsamkeit und Strenge er ausstrahlte – zwei Eigenschaften, die sich bei ihm untrennbar vermischten. Er hatte die Last des Mißerfolgs unserer Truppe zu tragen; dennoch war er entschlossen, unsere Ansichten richtigzustellen und seinen eigenen Standpunkt zu verdeutlichen. »Gott und der Teufel sind Verkörperungen«, sagte er. »Gott ist ein Richter, und Satan ist ein Advokat. Doch Recht zu sprechen und Recht zu verlangen erfordern zwei unterschiedliche Arten der Sprache. Und erst dieser Unterschied macht richtiges Theater aus – wenn man nur jemanden finden kann, der imstande ist, die richtigen Worte dazu zu schreiben.«
»Stimmt, da ist was dran«, sagte Straw, dessen Ansichten stets den Empfindungen des Augenblicks entsprangen und sich entsprechend schnell änderten.
Springer fielen langsam die Augen zu, als die Hitze des Feuers ihn zu durchdringen begann. Müdigkeit glättete sein schmales Gesicht. »Was können Worte schon bewirken?« sagte er. »Gott und der Teufel wissen doch beide, wie die Geschichte ausgeht.« Er redete langsam, wie ein verschlafenes Kind. »Und die Leute wissen es auch«, sagte er. »Sie wissen, wie die Geschichte ausgeht«, wiederholte Martin, und auch er sprach langsam. Zuerst hätte man seine Bemerkung als Spott auffassen können, doch seine Augen waren wie erstarrt, und sein Gesicht hatte einen leicht erstaunten Ausdruck angenommen, als wäre ihm soeben eine Erleuchtung gekommen.
Er wollte schon weiterreden, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen, weil es mich ärgerte, daß er von unserem Vater im Himmel als von einem begrenzten Wesen sprach; dies versetzte mich um so mehr in Zorn, als ich ein Anhänger der Lehre des großen Franziskaners William von Ockham bin, daß Gott außerhalb der Möglichkeiten des menschlichen Begreifens existiert, in vollkommener Freiheit und Machtfülle. »Keine Worte können uns Gottes Wesen näherbringen«, sagte ich. »Unsere Sprache ist die des Menschen, wir selbst haben die Regeln dafür aufgestellt. Wer glaubt, die menschliche Sprache könnte uns zur Erkenntnis der göttlichen Natur führen, begeht die Sünde des Hochmuts. Und so von der Person Gottes zu sprechen, wie du es getan hast, ist ein Verstoß gegen das erste Gebot.«
Der seltsam entrückte Ausdruck war aus Martins Gesicht verschwunden. Er schaute mich geradezu mitleidig an, als hätte ich ihn überhaupt nicht begriffen. »Wir reden von Schauspielen , Bruder«, sagte er. »Und die Kirche hat als erste Gott zu einem Schauspieler gemacht. Vor dem Altar haben die Priester Gott gespielt, und sie tun es noch immer, wie sie auch Christus und seine heilige Mutter und andere spielen, um unserem Verständnis nachzuhelfen. Als Schauspieler kann Gott seine eigene Stimme haben. Doch die Stimmen anderer kann er nicht annehmen. Der Vater der Lügen hat mehr Vorrechte, denn er kann mit der Zunge der Schlange sprechen.«
»Es ist
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