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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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Anspannung im Kopf überträgt sich auf den Körper. Unsere Arbeit ist nun einmal nicht von der Art, daß sie einem die Glieder schwer macht und den Schlaf bringt; es sei denn, man ist wie der arme Springer, der zwar Angst hat, aber keine Nerven und der erst fünfzehn Jahre ist und noch im Wachstum begriffen. Heute abend ist es besonders schlimm bei mir, des Geldes wegen.«
       Eine Zeitlang schlenderten wir durch die Straßen der Stadt. Es waren nicht viele Leute unterwegs. Der Frost ließ den Schlamm hart werden. Es war ein dunkler Abend, kein Stern war zu sehen – der klare Himmel, den wir noch vor einiger Zeit gehabt hatten, war völlig verschwunden. Wir hatten eine Laterne an einem Stock dabei, und nur ihr hin und her schwankendes Licht erhellte unsere Umgebung. Ich konnte Schnee in der Luft riechen und spürte, wie sich in der Finsternis die Schneewolken zusammenballten und den Abend noch dunkler und dräuender machten. Wir gelangten zu einer kleinen Schenke: ein einziger schäbiger Raum mit Bänken und Binsenmatten auf festgestampfter Erde. Das Licht war trüb, und der Rauch biß uns in die Augen, doch in der Stube brannte ein Feuer, an dem man Platz nehmen konnte.
       Wir tranken dünnes Bier und aßen gesalzenen Fisch – das einzige, was die Schenke zu bieten hatte. Martin blieb zuerst stumm und starrte in die Flammen. Als er schließlich sprach, ging es wieder um Schauspielerei, und er redete so leise, als hätte er Lauscher zu fürchten – alles, was sein Gewerbe betraf, hütete er mit größter Eifersucht. »Mein Vater war Schauspieler«, sagte er. »Er starb an der Pest, als ich in Springers Alter war. Wenn wir in den Städten gespielt haben, kamen die Leute in Scharen zu uns. Heutzutage können uns ein paar Gaukler und ein Tanzbär die Hälfte der Zuschauer fernhalten. Wir sind nur zu sechst. Bei unserer Aufführung in Durham, vor dem Vetter unserer Herrin, können wir das Stück von Adam und das Stück von Christi Geburt spielen, weil wir beide geprobt haben. Falls uns Zeit genug zur Vorbereitung bleibt, können wir überdies die Stücke von Noah, vom Zorn des Herodes und den Traum vom Weib des Pilatus bringen.«
       Er hob den Kopf und blickte mir mit tiefem Ernst ins Auge. »Wir sind nur zu sechst«, sagte er noch einmal. »Was können sechs Leute tun? Alles, was wir besitzen, paßt auf einen Karren. Und immer mehr kommen die großen Schauspielzyklen in Mode, die von den Gilden aufgeführt werden – überall, wo viele Menschen leben, von Schottland bis nach Cornwall. In Wakefield, zum Beispiel, oder in York werden dieser Tage zwanzig Stücke aufgeführt, von Luzifers Fall bis zum Jüngsten Gericht, und das geht eine ganze Woche lang. Aber dort kann man sich auf den Reichtum der Gilde stützen, und der sind die Kosten ziemlich egal, weil die Aufführungen zum Ruhm ihrer Stadt beitragen. Wie sollen wir da mithalten?«
       Seine Augen hatten sich geweitet, und er sprach sehr lebhaft, doch auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Abwesenheit, als wären die Worte, die er sagte, gar nicht der eigentliche Gegenstand seines Interesses. »Da können wir nicht mithalten«, wiederholte er. »In Coventry habe ich gesehen, wie Jesus mit Hilfe eines Flaschenzuges aus der Grabeshöhle auferstanden und dann in den Himmel aufgefahren ist, an dem von unsichtbaren Schnüren Wolken hingen. Ich habe eine Enthauptung des Täufers gesehen, wobei der Darsteller mit Hilfe von Licht und Falltüren gegen eine Puppe ausgetauscht wurde, und das so geschickt, daß die Zuschauer nichts bemerkten und aufschrien, als sie einen kopflosen Leichnam sahen. Und als ich das Publikum beim Anblick eines von Ochsenblut triefenden Strohbündels kreischen hörte, da wußte ich, was die Stunde geschlagen hat. Die Zeiten für kleine Wandertruppen, die mit Maskenstücken durch die Lande reisen, sind vorüber. Wir haben hart gearbeitet und unser Bestes gegeben, und wir sind erfahrene Schauspieler – doch hier sitzen wir nun und trinken schales Bier. Zwischen hier und Durham haben wir kaum mehr zu erwarten als hin und wieder eine Mahlzeit aus Bucheckern mit unserem eigenen Rotz als Soße, falls es Tobias nicht gelingt, mit einer Schlinge ein Kaninchen zu fangen, was bei diesem kalten Wetter nicht leicht ist. Nein, Bruder, wir müssen eine andere Möglichkeit finden. Die anderen schauen auf mich; ich bin der Prinzipal.«
       Er nickte schwerfällig, wobei er mich ansah, doch seine Miene hellte sich auf. »Was Springer sagte, da ist

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