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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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Himmel, um mir Übung zu verschaffen. Er machte die geschlängelten Zeichen für ›Tonsur‹ und ›Bauch‹: gemeint war der Mönch. Dann folgten die raschen, abgehackten Zeichen für ›Dach‹ und ›Wände‹ und darauf das Zeichen für ›dringende Frage‹, wobei der Daumen und die beiden ersten Finger der linken Hand zusammengelegt wurden und die Hand sich unter dem Kinn rasch vor und zurück bewegte – ein Zeichen, das jenem für ›Essen‹ sehr ähnelt, nur daß der Daumen in diesem Fall nach oben gereckt und der Ellenbogen ausgestreckt ist und daß die Bewegungen ein wenig langsamer sind.
     Was hatte der Mönch in dem Haus gesucht?
    Er wartete und legte den Kopf weit in den Nacken, um so die Dringlichkeit der ›Antwort‹ zu untermalen. Zu meinem Bedauern muß ich gestehen – die Wahrheit zwingt mich dazu –, daß ich den Hals ein Stück nach vorn reckte, um ›Interesse‹ zu bekunden, während ich zugleich mein Bestes gab, mit der Zunge die raschen Bewegungen der ›Lüsternheit‹ zu vollführen, wobei ich jedoch mit der trommelwirbelartigen Geschwindigkeit, wie ich sie bei Straw beobachtet hatte, bei weitem nicht mithalten konnte.
       Martin lachte darüber. Er schien jetzt in sehr guter Stimmung zu sein. »Aber für Männer hatte sie keine Augen«, sagte er, »sofern wir den werten Damen glauben dürfen.« Und er preßte die Lippen zusammen und legte die rechte Hand an die Wange, was ›Erröten‹ bedeutet; dann vollführte er mit beiden Händen eine Bewegung, als wollte er sich ein Kopftuch umbinden, wie es der Darsteller der Keuschheit in einem Maskenspiel zu tun pflegt.
       Mehr sprachen wir an diesem Abend nicht über die Angelegenheit. Und weil Martin zum Schluß gelacht und die Sache in einen Scherz verkehrt hatte, wurde meine Angst überlagert. Was die Leidenschaft betraf, die ich bei ihm gespürt hatte, die Bereitschaft zur Übertretung gesteckter Grenzen, so fanden sich dafür schlüssige Erklärungen, wie mir schien. Martin war über den spärlichen Besuch unserer Vorstellung enttäuscht, und unsere Armut machte ihm zu schaffen. Mit diesem Gedanken versuchte ich meine Ängste zu beschwichtigen. Doch ich kannte Martin noch nicht richtig; ich wußte noch nicht, daß bei ihm stets alles ernst gemeint war. Vielleicht war das der Grund dafür, daß er an diesem Abend mich zu seinem Begleiter ausgewählt hatte: weil ich noch nicht so vertraut mit seinem Wesen war, so daß er frei heraus sprechen konnte, ohne seine wahren Absichten zu enthüllen. Heute bin ich sicher, daß seine Pläne an jenem Abend bereits feststanden.
       Ich weiß es aus dem, was ich heute über Martin weiß; zum damaligen Zeitpunkt hegte ich noch keinen Verdacht, auch wenn da schon dieses Vorgefühl gewesen war. Mit Hilfe unseres Gedächtnisses ist es nicht schwierig, aufeinander folgende Ereignisse der Vergangenheit sinnfällig zu rekonstruieren. Doch die Angst, die Menschen wie mich erfüllt, läßt sich nicht so leicht ermitteln; denn sie bewegt sich in Sprüngen, vorwärts und wieder zurück, und entzündet sich an immer neuen Dingen. Die Furcht, die ich in der Schenke angesichts der Macht des menschlichen Verlangens empfand, einer Macht zum Bösen oder zum Guten, verspüre ich noch heute. Das Wesen der Macht ist stets gleich, nur die Masken, die sie trägt, sind verschieden. Die Masken der Machtlosen sind ebenfalls verschieden. Ich weiß noch, was an jenem Abend zwischen uns gesprochen wurde, und ich kann mich an den wechselnden Ausdruck auf Martins hagerem Gesicht erinnern. Er hatte bereits vollbracht, was er stets mit erschreckender Leichtigkeit konnte: Er war von der Idee zur Absicht und von der Absicht zur Durchführung gelangt, als gäbe es keinerlei Vorhang dazwischen, nicht einmal einen Nebelschleier.

Kapitel sieben 
    ir alle wohnten Brendans Beerdigung bei, sogar der Hund, den Tobias an einem zerkauten Stück Seil hielt. Ich hatte zuerst mit dem Gedanken gespielt, nicht mitzugehen, weil wir während der Beisetzung gezwungen sein würden, die Köpfe zu entblößen, und ich hatte ja noch immer die zerzauste Tonsur aus meinem anderen Leben. Margaret fand die Lösung des Problems, die sich als ziemlich einfach erwies, wenngleich keiner von uns anderen darauf gekommen war; wir hatten uns auf den Gedanken konzentriert, daß ich irgendeine Art von Kopfbedeckung tragen sollte. »Wir werden ihn kahlscheren«, sagte Margaret in jenem ausdruckslosen Tonfall, den sie immer benutzte, wobei sie den Mund halb

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