Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
Vom Netzwerk:
könntest nicht einmal das Schwert eines Ritters heben, geschweige denn damit zuschlagen.« »Wenn sie nicht sehen konnten, wohin sie mit dem Schwert gehauen haben, wär’s wohl besser für sie gewesen, nach Hause zu gehen«, meinte Straw. »Denn wer blindlings um sich hackt, ist für die eigenen Leute eine ebenso große Gefahr wie für den Feind. Und sie sind ja wirklich eine Gefahr für jeden.« Er mochte zwar wechselhaft und schwankend in seinen Gedanken und Stimmungen sein und leicht umzustimmen; doch wenn Springer angegriffen wurde, stand er ihm stets bei. »Warum, um alles in der Welt, sollte Springer ein Schwert erheben wollen? « fuhr er fort. »Es verwundert mich, daß du die Ritter so hoch in den Himmel hebst, wo doch einer von ihnen dir den Daumen abgehackt hat.«
       Dieser Hinweis auf seine Verstümmelung war kränkend für Stephen und hätte vielleicht zu einem Streit geführt, doch in diesem Augenblick kehrte Martin zurück, und wir machten uns gemeinsam auf den Weg den Hügel hinunter, die Köpfe gegen den Schnee gesenkt.
       Im Wirtshaus angelangt, schien Martin einen Anfall von Verschwendungssucht zu erleiden: Es gab dicken Erbseneintopf und Hammelfleisch und Mehlpudding und Butter zum Brot und gutes Bier. Selbst der Hund wurde mit einem Festmahl aus Brotbrocken bedacht, die in die Suppe getunkt waren, und Tobias gab ihm einen Hammelknochen. Die Rechnung belief sich auf elf Pence, so daß uns wirklich nur noch herzlich wenig übrigblieb.
       Stephen und Tobias machten sich daran, den Karren zu beladen, doch Martin hielt sie auf. »Da wäre noch eine Sache zu besprechen«, sagte er. »Laßt uns ein Feuer machen – Holz ist noch genug da.« Wir stellten das Kohlenbecken an die Tür, die wir offen ließen. Dann setzten wir uns drinnen im Halbkreis nieder und blickten auf das Feuer und hinaus in den Hof des Wirtshauses. Der Schnee fiel ohne Unterlaß und bedeckte die Pflastersteine mit Weiß. Flocken trieben durch die Türöffnung herein und zischten im Feuer. Als wir dort auf dem Stroh kauerten, den Blick in die hellen Flammen gerichtet, fühlten wir uns herrlich satt und zufrieden. Um uns herum waren der Dampf trocknender Kleidungsstücke, der Geruch von Stroh und Kuhmist und der scharfe Gestank des Pferdes.
       Er begann damit, daß er uns sagte, was wir bereits zur Genüge wußten: Die Einnahmen waren kläglich gewesen, wir hatten nur noch sehr wenig Geld, und wir waren noch immer mehrere Tagesreisen von Durham entfernt, wo der Vetter unserer Herrin uns zum Weihnachtsfest erwartete, auf daß wir zur Unterhaltung seiner Gäste auftraten. Wie viele Tage wir noch unterwegs sein würden, war schwer zu sagen; der Schnee würde die Reise auf den Straßen schwieriger machen denn je. »Und wir haben kaum genug Geld, um das Essen für zwei Tage zu bezahlen «, sagte er – immer wieder kam er auf unsere Armut zu sprechen.
       »Weshalb waren wir dann beim Hammelfleisch so freigebig?« wollte Springer wissen. Es war eine kindische Frage, denn er hatte den Preis sehr genau gekannt, war aber gierig auf das Fleisch gewesen. Jetzt, mit vollem Bauch, gab er sich vorwurfsvoll.
       »Wir müssen in guter Verfassung bleiben«, sagte Martin. Ich glaube, er hatte das Geld absichtlich ausgegeben, damit uns keine Wahl mehr blieb. Jetzt beugte er sich vor und wärmte die Handflächen am Feuer; es sah seltsam aus, so, als würde er Kräfte sammeln, um einen Satz nach vorn zu tun. Wieder bemerkte ich irgend etwas wolfsartiges an ihm. Doch nur das sündige und trügerische Herz eines Menschen konnte seinem Gesicht den Ausdruck gegeben haben, den es jetzt zeigte; angetrieben von seiner Idee, überlegte er noch immer, wie er sie uns am besten schmackhaft machen konnte.
       »Mir ist da eine Möglichkeit für uns eingefallen«, sagte er. »Wir könnten etwas tun, das die Akrobaten nicht können. Doch dazu müßten wir noch eine Weile in dieser Stadt bleiben.«
       »Was redest du um den heißen Brei herum?« Für einen Augenblick wirkte Stephens dunkles Gesicht ausdruckslos; dann sah ich, wie er die Brauen zusammenzog. »Was hast du mit uns vor?« fragte er.
       Noch einmal blickte Martin in die Runde, wenn auch nur kurz. Seine Miene war jetzt ruhig und ernst. »Leute«, sagte er, »wir müssen den Mord spielen.«
       Diese Worte ließen die Welt in Stille versinken; so zumindest kam es mir vor. Wir gaben nicht den leisesten Laut von uns, und unsere Körper waren regungslos. Auch das Klappern von Hufen und

Weitere Kostenlose Bücher