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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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herausfinden, soviel wir nur können. Wenn wir diese Geschichte als Stück aufführen wollen, müssen wir alle Begleitumstände kennen. Wir sollten getrennt durch die Stadt gehen und mit den Leuten reden – aber als Fremde. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, daß wir damit irgendein Ziel verfolgen.«
       »Die Leute werden wissen, daß wir Schauspieler sind«, sagte Straw. »Sie werden uns wiedererkennen.«
       »Nein, werden sie nicht, denn die meisten von uns waren maskiert. Außerdem haben die Leute uns bei Fackelschein gesehen, und der verändert das Aussehen eines Gesichts«, meldete Stephen sich zu Wort, und seine Miene hatte sich jetzt ebenso aufgehellt, wie ich es zuvor bei Springer gesehen hatte. Martins Einfall verbreitete sich unter uns wie ein Licht.
       »Wir werden uns in der Stadt umtun und sehen, was wir erfahren können«, sagte er jetzt. »Wenn wir die Glocken zur Abendandacht läuten hören, kommen alle umgehend hierher zurück und berichten einander, was sie herausgefunden haben. Dann werden wir darüber sprechen, wie wir unser Schauspiel gestalten, und überlegen, wie wir die Rollen verteilen. Anschließend machen wir zu Fuß einen Umzug durch die Stadt, mit Fackeln, jeder in seiner Rolle, und rufen den Leuten zu, was wir vorhaben. Dann – soweit die Zeit es noch erlaubt – proben wir das Stück, so daß wir unsere Rollen beherrschen. Morgen ist Markttag; da wird die Stadt voller Menschen sein.«
       Letzteres mußte Martin zuvor schon herausgefunden haben, noch ehe er uns seinen Plan erläutert hatte. »Worüber hast du mit dem Totengräber gesprochen?« wollte ich wissen. Die Frage kam so schnell über meine Lippen, daß ich gar nicht wußte, ob ich sie wirklich stellen wollte.
       »Was?« Für einen Augenblick wirkte er bestürzt, als hätte ich ihn bei irgend etwas ertappt.
       »Heute morgen, als du zurückgeblieben bist.«
       »Ich habe ihn gefragt, ob er die Leiche des Knaben gesehen hat. Er sagte, er hätte sie nicht gesehen, weil er ja nicht durch eine Kiste aus Holz hindurchschauen könne. Also fragte ich ihn, wer die Kiste gemacht hat, und er sagte, daß es in der Stadt drei Zimmerleute gebe; einer von denen müsse es wohl gewesen sein. Und dann hab’ ich ihn noch gefragt, ob er mir sagen könne, wer für die ganze Arbeit bezahlt habe. Aber er sagte, er wüßte es nicht.«
       »Also hast du die Idee mit dem Stück schon vorher gehabt?«
       Er blickte mich fest an. »Ich habe schon seit Jahren mit dem Gedanken gespielt, Geschichten aus unserem Leben zu Schauspielen umzuarbeiten. Ich glaube, so werden in künftigen Zeiten die Stücke entstehen. «
       Zum damaligen Zeitpunkt hielt ich dies für eine aufrichtige, wenn auch nicht vollkommen ehrliche Antwort und sagte mir, daß zwischen Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit immerhin die Hoffnung auf eine neuerlich gefüllte Geldbörse lag. Martin nahm jetzt den Blick von mir und sagte zu den anderen: »Also dann – sind wir einer Meinung?«
       Eine Zeitlang schwiegen wir. Dann gaben wir alle; einer nach dem anderen, unsere Zustimmung, Tobias als erster, ich als letzter. Die Kühnheit unseres Vorhabens überwältigte mich. Ich sah Furcht und Erregung auf den Gesichtern um mich herum. Wir setzten alles auf einen Wurf. Und dann war da noch das Licht, das von Martin kam und in dem wir alle gebadet wurden. Heute glaube ich, daß es der Hochmut des Geistes war, der ihn leitete, und das ist noch schlimmer als die Liebe zum Geld. Denn durch den Hochmut werden nur Fackeln angezündet, die immer mehr Feuer entfachen. Das Harz eines schlechten Astes läßt seine Flamme heller erstrahlen, und eine Zeitlang mag es so aussehen, als würde dies die Dunkelheit erhellen; doch nur allzu schnell ist das Holz aufgezehrt, und die Welt, die dann bleibt, ist noch dunkler als zuvor. Trotzdem gab ich meine Zustimmung, obwohl ich mich zuerst dagegen ausgesprochen hatte. Diese Gemeinschaft von Schauspielern war für mich eine Zuflucht, und ich wollte nicht ausgestoßen werden. Und dann waren da Martins Gesicht und seine Stimme. Er überzeugte uns nicht, sondern steckte uns mit seinem Gefühl an. Es war, als hätten wir einander mit Licht angesteckt …
       Ich brachte nichts mehr gegen seine Pläne vor; es wäre ohnehin zwecklos gewesen. Vielleicht hatte er recht mit seinen Bemerkungen über die Natur des Schauspiels und die Schauspielerei der Zukunft. Er gehörte zu jenen Menschen, die ohne Schwanken nach vorn schauen können, und er

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