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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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hatte ihn dies gelehrt, und Stephen machte seine Sache gut. Im Publikum gab es Erheiterung darüber, einen Mann lachen zu sehen, der ein so schlechtes Geschäft gemacht hatte; denn alle wußten, daß die Kuh aus Not verkauft worden war, und ein oder zwei Zuschauer riefen laut irgend etwas, jedoch nicht im Zorn, wie mir schien. Falls der Dargestellte sich unter den Zuschauern befand, gab er sich nicht zu erkennen. Dann erstarb das Gelächter und wich der Stille – so rasch, daß es beängstigend wirkte.
       Ich schaute durch den Vorhang zu, als die Vorstellung ihren Fortgang nahm. Alles verlief so, wie wir es geplant und geprobt hatten; die Trunkenheit des Mannes wurde gezeigt und die Frau, wie sie ihm die Börse stibitzt und sie mit flinken Fingern leert, und die Gesten, mit denen sie ihrem Sohn die Gefahren deutlich macht, die ihm auf seinem langen Rückweg zur Stadt drohen. Trotz des aufgebauschten Rocks und der vielen Polster, die er am Leibe trug, verstand Straw es sehr gut, die Bedrohungen durch Bären und Wölfe und Räuber darzustellen, indem er heftig gestikulierte, und Springer folgte all diesen Bewegungen, indem er den Kopf hin und her drehte wie eine Gans, um zu zeigen, daß er aufmerksam lauschte und sich alle Ermahnungen zu Herzen nahm.
       Dann kamen Stephen und Straw zurück, sich umzukleiden, und ich trat hinaus auf die Bühnenfläche und begann mit meiner Rede an Thomas Wells.
       »Der Gute Rat heiß’ ich; man nennt mich auch Gewissen. Meine Pflicht ist es und mein Begehren, dich und alle Menschen auf Erden zu ermahnen und stets anzuhalten, auf dem rechten Weg zu bleiben, der uns aufgetan wurde durch die Leiden unseres Herrn Jesus Christus …«
       Ich sagte die Worte, wie sie mir gerade durch den Kopf gingen, und hielt den Blick dabei die ganze Zeit auf Springer gerichtet; dann und wann machte ich die Gebärde der Ermahnung: die rechte Hand erhoben und die mittleren drei Finger emporgestreckt. Hie und da begannen die Zuschauer miteinander zu schwatzen und mit den Füßen zu scharren; meine Rede dauerte ihnen zu lange. Dann aber setzte mit einem Mal Stille ein, wie schon zuvor, und ich löste den Blick von Thomas Wells und sah, wie die Frau im Gewand und mit der Perücke und Maske der Versucherin nach vorn trat – Straw hatte sich die runde Sonnenmaske der Schlange vor dem Sündenfall aufgesetzt.
       Für einen Augenblick geriet mein Redefluß ins Stocken. Im schattenlosen Licht des Hofes besaßen das scharlachrote Gewand, die gelbe Perücke und das starre Lächeln der weißen Maske mit den runden, rosafarbenen Flecken auf den Wangen eine überaus eindrucksvolle Wirkung. Ich spürte, daß mein Atem schneller ging, als hätte ich mich vor irgend etwas erschreckt. Die Frau kam nicht näher, sondern hielt sich in einiger Entfernung, ohne sich zu rühren, während ich fortfuhr, Thomas Wells meine wohlgemeinte Predigt zu halten, wobei ich nun einige Verse sprach, an die ich mich aus einem anderen Stück erinnerte:
 »An höherer Einsicht tut’s dir not,
     Setz nicht den Sinn auf irdisch Gut.
     Für dich ist Christ gestorben …« 
      Doch die Blicke der Leute waren nicht auf mich gerichtet, sondern hefteten sich auf die Frau, als diese nunmehr begann, durch Bewegungen des Körpers die fleischlichen Wonnen darzustellen. Auch dies war Martins Idee gewesen: daß die Frau einen gewissen räumlichen Abstand zu den anderen hielt und ein Gebärdenspiel der Wollust aufführte, während ich noch mit meiner Moralpredigt zugange war, so daß die Worte des Geistes und die Bewegungen des Fleisches im Wettstreit lagen.
       Martins Idee, ja; aber Straw hatte etwas daraus gemacht, das nur er allein vollbringen konnte. Er war der begabteste Schauspieler von uns allen. Fraglos verfügte auch Martin über großes Können; er hatte ein Gespür für Wirkungen sowie ein Verständnis für die äußere Form eines Stückes und die Bedeutung als solche, welches weit über das unsere hinausging. Straw jedoch besaß einen Instinkt für die Darbietung, oder besser, eine Verbindung von Instinkt und Wissen, eine natürliche Gabe des Körpers – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, doch kann man es weder lehren noch lernen. Für die Rolle der Versucherin hatte er sich eine befremdliche und erschreckende Haltung einfallen lassen: Steif bog er den Körper zur Seite und hielt den Kopf für einen Augenblick ruhig, wie fragend; die Hände schwebten dicht über den Hüften, die Handteller waren nach außen

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