Die Masken der Wahrheit
gehemmt in meinen Bewegungen; wir hatten zu wenig Zeit zum Proben gehabt, und es war nicht leicht, alles aufeinander abzustimmen: die Worte der Predigt, die ich sprach, wie sie mir gerade durch den Kopf gingen; die Geste des Erschreckens bei der Berührung durch die Schweinsblase; das Stocken in meiner Rede und das Herumfahren zu dem Dämon; die Gebärde des Verscheuchens – wobei die Hände leicht in den Gelenken geschlenkert werden – und die tapsige Verfolgung des Unholds. Dies alles mußte langsam vor sich gehen, um Straw genug Zeit für sein Gebärdenspiel irdischer Wonnen zu lassen. »Du mußt es so machen, als würdest du eine lose Augenbinde tragen«, hatte Martin zu mir gesagt. »Als könntest du zwar sehen, aber nur verschwommen. Dann werden deine Bewegungen ganz von selbst unsicher; auf diese Weise wirst du langsam und verschaffst Straw die Zeit, die er braucht. Überdies wird deine Unbeholfenheit den Dämon flinker erscheinen lassen.«
So versuchte ich nun, mich an Martins Ratschläge zu halten. Daß ich so tat, als könnte ich nur verschwommen sehen, vermittelte mir ein Gefühl des Abstands zum Publikum, worüber ich froh war, denn mein Gesicht war nackt und bloß, so daß die Zuschauer mich unverhüllt sehen konnten. Dabei brauchte ich mich, um die Wahrheit zu sagen, eigentlich gar nicht groß zu verstellen; denn unter den herrschenden Lichtverhältnissen reichte mein Blick ohnehin nicht bis zu den Gesichtern der Leute, sondern endete dort, wo unsere Schatten endeten, die uns umtanzten. So drehte ich mich denn von den bewegten Schatten weg zum flackernden Licht der Fackeln an der Mauer, wenn ich die Püffe des Dämonen spürte, und stellte ihm gleichermaßen tapsig wie erfolglos nach, kehrte wieder um und ließ mich dann über ein Thema des Evangelisten Matthäus aus.
»Thomas Wells, bleib auf dem rechten Wege, der zur Erlösung führt, und weiche nicht davon ab! Da sind die Stimmen Satans, die dich mit sanften Worten und der Verheißung irdischer Gelüste in Versuchung bringen. O sündige Seele, bleib auf dem schmalen Pfad …«
Aus dem Publikum erklangen Stimmen und riefen mir Ratschläge zu. Eine Stimme war besonders beharrlich; denn es gibt immer welche, die es für einen Heidenspaß halten, dem Guten Rat Ratschläge obszöner Art zu erteilen. »Nehmt ihm seinen Stock weg, Herr Priester, und steckt ihm das Ding in den Arsch«, rief dieser Narr, und einige Zuschauer lachten, während andere »Pssst!« machten, damit der Bursche das Maul hielt; denn er lenkte die Aufmerksamkeit von der Bühne ab, und so etwas kann Ärger geben, wenn Leute dafür bezahlt haben, das Stück zu sehen.
Thomas Wells stand stumm und regungslos in der Mitte der Bühnenfläche. Ich setzte zu einer neuen Rede an, diesmal über ein Thema aus Hiob: Muß nicht der Mensch immer im Kriegsdienst stehen auf Erden! Doch da trat Straw nach vorn und führte mit allerlei Verrenkungen vor dem Publikum seinen Tanz der Lüste auf, wobei er hinter der Sonnenmaske der Schlange so unirdische Laute hervorbrachte wie die taubstumme Frau – was er mit Martin geübt hatte –, worauf sich im Hof eine so tiefe Stille ausbreitete, daß man das Scharren eines Schuhs auf den Steinen hören konnte. Noch immer dem Publikum zugewandt, legte Straw den Kopf wie fragend auf die Seite und hob die Hände, die Innenflächen nach außen gekehrt, die Finger gespreizt. In dieser Stellung verharrte er vielleicht zehn Sekunden – eine lange Zeit der Reglosigkeit für einen Schauspieler. Dann erklangen hinter der lächelnden Maske wieder besagte Laute, nur waren sie diesmal langgezogen und besaßen einen jammernden Beiklang, so daß sie sich wie ein Wehklagen ob aller stummen Dinge auf der Welt anhörten. Dann trat die Frau ein Stück zurück, und Thomas Wells ging mit Storchenschritten auf sie zu, wobei er die Knie wie ein Schlafwandler hob; doch war es jetzt ein jammervoller und kein lustvoller Traum. Ich näherte mich, um die Gebärde der traurigen Resignation zu machen, und aus der Zuschauermenge erklang nicht eine Stimme.
So machten wir weiter bis zu jenem Augenblick, da die Frau sich hinter Avaritia und Pietas zusammenduckt, die Masken wechselt, sich den Zuschauern in der gehörnten Fratze des Mordes zeigt und mit zu Klauen gekrümmten Fingern die Geste des Ungeheuers vollführt. Die Leute zischten sie immer noch an, als Stephen endlich nach vorn trat. Er war eine eindrucksvolle Erscheinung, wie er nun in seinem weißen Gewand
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