Die Masken des Morpheus
»Alles klar. Du hegst also keine besonderen Gefühle für sie.«
»Für Mira? Was soll die Frage? Wer sie nicht mag, der ist ein kalter Klotz.«
»Na siehst du.« Jetzt grinste er.
Arian verharrte mitten im Lauf. »Willst du mir etwas sagen?«
Tarin hob die Schultern. »Ich meine nur – mir ist aufgefallen, wie sie dich ansieht.
»So? Wie denn?«
Das Grinsen hing wie eine Klette in seinem Gesicht. »So, wie ich mir wünschte, dass sie mich ansieht.«
»Das ist mir nicht entgangen«, fauchte Arian und stapfte weiter über den Hof. Wer bin ich denn schon? , dachte er. Ein Swapper wider Willen, in dem sich die dunklen Triebe von Dieben, Mördern und Betrügern austoben. Welche Frau liebt einen Mann, in dem so ein Monster schlummert?
Tarin schloss wieder zu ihm auf. »Mir liegt viel an unserer Freundschaft. Ich möchte sie nicht für ein Mädchen aufs Spiel setzen.«
Arian schnaubte. »Du bist ja nur so großzügig, weil ich als Turtleneck ein hässlicher, alter Sack bin – ganz im Gegensatz zu dir.«
»Danke für das Kompliment. Du hättest also nichts dagegen, wenn ich mich um sie bemühe?«
»Mach, was du willst.« Arian biss sich auf die Zunge. Habe ich das wirklich gerade gesagt? In seiner inneren Zerrissenheit fühlte er sich alles andere als liebenswert. Er hatte Miras Freundschaft gewonnen, mehr war nicht drin für ihn. Um das frustrierende Thema zu beenden, blieb er stehen und sah sich unschlüssig um. »Die beiden sind wie vom Erdboden verschluckt.«
»Das ist es!«, platzte Tarin hervor.
»Was ist was?«, fragte Arian gereizt.
»Gila hat im Palast aufgeräumt und sich danach wieder in ihre Höhlen verzogen.«
»Ja, und?«
Tarin stöhnte. »Weil Mira da unten ist. Vielleicht hat er sie eingesperrt. Der Tatzelwurm kann ziemlich besitzergreifend sein.«
»Willst du damit sagen, er betrachtet sie als sein Eigentum?« Arian bemerkte eine zunehmende Schrillheit in seiner Frauenstimme.
»Solange seine Herrin keinen Anspruch auf die Beute erhebt, nimmt er sich solche Freiheiten heraus.«
»Und das lässt sich deine Mutter gefallen?«
»Manchmal ist der Preis der Sicherheit die Tyrannei. Lass uns nachsehen. Dann werden wir’s ja sehen.«
Tränen rollten über Tarins Wangen. Zärtlich legte er seine Hand auf den toten Körper. »Ich habe sie geliebt. Sie war meine einzige Freundin«, schniefte er und sah mit gequältem Blick von dem Greif auf. »Nicht so wie meine Schwester. Aber sie hat mich verstanden. Sie war ein Geschöpf der Lüfte und sehnte sich nach Freiheit, so wie ich.«
Arian nickte erschüttert. Grijpas mit Bisswunden übersäter Leib zeugte von ihrem verzweifelten Todeskampf. Der lohfarbene Riese allein hätte sie niemals so zurichten können, seine ganze Meute musste ihm dabei geholfen haben. Sosehr Arian das Leid seines Freundes auch schmerzte, so ruhelos machte ihn die Ungewissheit über Miras Schicksal. Er legte Tarin die Hand auf die Schulter. »Wir müssen gehen.«
Wortlos wandte sich der Trauernde von dem Fabelwesen ab, bückte sich nach der zuvor abgestellten Laterne und lief damit weiter den Schneckengang hinab.
Als Arian das gelbe Glosen der großen Augen in der Dunkelheit entdeckte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Das Versteck des Tatzelwurms lag tief im Lurleberch. Eine Spur von Hundekadavern hatte sie zu ihm geführt.
»Dich kennt er besser. Ab hier übernimmst du die Führung«, sagte Tarin und zog sich mit seiner Laterne zurück.
»Besser? Mich?«
»Er wird dich für meine Mutter halten. Sprich ihn mit Namen an und sei streng zu ihm.«
»Kann er mich überhaupt verstehen?«
»Natürlich. Er spricht zwar nur Bergstutz, die Sprache der Steinkatzen und Springwürmer, aber er versteht jedes Wort.«
Arian riss Tarin die Öllampe aus der Hand. Das Herz klopfte ihm aufgeregt in der Brust. Behutsam näherte er sich dem Augenpaar. Es hatte etwas Katzenhaftes.
»Gil-« Seine Stimme versagte. Er räusperte sich und versuchte es erneut. »Gila! Komm heraus.«
Ein unheimlicher Laut kam aus der Dunkelheit. Es klang wie eine Tuba, nur wesentlich tiefer.
»Sofort!«, verlangte er.
Die Augen bewegten sich. Sie wippten hin und her. Allmählich schälte sich aus dem Finstern ein gewaltiger Katzenkopf. Eigentlich ähnelte er eher dem Haupt eines Panthers, hätte von der Größe her aber besser zu einem Elefanten gepasst. Das Untier kam unaufhaltsam näher.
»Der Drache wird mich fressen, Tarin«, raunte Arian über die Schulter. Er verspürte den übermächtigen
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