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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wolle er sie hypnotisieren. Sie war zart und leicht. Wenn er sie mit genügend Schwung ansprang, spielte es keine Rolle, ob sie den Körper tauschten oder nicht.
    Sie würden beide in die Tiefe stürzen.
    »Tu es nicht!«, sagte sie.
    Anscheinend konnte das Frauenzimmer seine Gedanken lesen. Er musste schnell sein. Mit einem wütenden Knurren duckte er sich, spannte seine Muskeln und rannte los.
    Ikela ging in die Hocke. Ihre Bewegungen wirkten alles andere als weiblich.
    Nach zwei kraftvollen Sätzen sprang er. Im Flug riss er das Maul auf, um sie an der Kehle zu packen. Plötzlich sah er aus den Augenwinkeln einen Blitz. Ein Knall hallte durch die Nacht. Fast im selben Moment schien ihn eine Riesenfaust zu treffen.
    Er jaulte auf. Seltsam, wie sich die Zeit auf einmal dehnte. Eine Kugel hatte ihn erwischt. Sie warf ihn aus der Bahn. Seine Fänge verfehlten Ikela, nur mit dem Hinterteil streifte er sie an der Schulter. Sie verlor den Degen und wurde von dem Steg gestoßen, auf dem sie gekauert hatte. War da nicht eben noch erheblich mehr Fels drum herum gewesen?
    Der eigene Schwung trug Boss über die Kante des Vorsprungs hinweg. Winselnd gewahrte er die rasch größer werdenden Signalfeuer im Fluss. Sie verschwanden und kamen, tauchten wieder auf und wischten abermals aus seinem Blickfeld. Die hübsche Hexe kam nicht vorbeigesegelt. Er bedauerte, dass er sie nicht mehr zu sehen bekam, bis er am Grunde des Lurleberchs zerschellte.

    Starr vor Entsetzen taumelte Tarin über den Grat. Die rauchende Pistole entglitt seiner Hand. In dem Moment, als der riesige Bluthund Arian mit sich gerissen hatte, war auch das Trugbild von dem Felstisch verschwunden. Nur der blanke Stockdegen lag noch auf dem Vorsprung. Fassungslos schüttelte Tarin den Kopf. Tränen schossen ihm in die Augen. Was für eine Ironie des Schicksals! Zwei Menschen, für die er sein Leben gegeben hätte, waren an ein und demselben Ort gestorben …
    Seine Gedanken stockten. War da nicht eben ein Ächzen gewesen? Er schnappte nach Luft. Da bewegte sich doch etwas!
    »Könntest du mir vielleicht helfen?«, drang eine angestrengte Stimme an sein Ohr.
    Er schob sich aufgeregt über den Grat zu der Felsnase und balancierte darauf bis zum Ende. Dann erst sah er die zarten Hände, die einmal Rinella gehört hatten.
    »Mach schon!«, ächzte Arian. »Ich bin zwar Akrobat, aber deine Mutter ist nicht so gut in Schuss, wie sie aussieht.«
    Tarin ließ sich auf den Bauch fallen und streckte ihm den Arm entgegen. Arian umfasste sein Handgelenk und umgekehrt Tarin das seines Freundes. Halb ziehend, halb kletternd brachten sie Ikelas Körper in Sicherheit.
    Arian rollte sich auf den Rücken und keuchte. »Das war knapp.«
    »Alles heil?«, fragte Tarin.
    »Ich fürchte, ich habe das Schlafkleid deiner Mutter ruiniert.«
    Die Anspannung fiel von den beiden ab und sie fingen an zu lachen.
    Auf einmal fuhr Arian hoch und starrte zur Burg.
    »Habe ich was verpasst?«, erkundigte sich Tarin glucksend.
    »Was ist mit dem Stollenwurm?«
    »Gila? Was soll mit ihm sein?«
    »Ich höre nichts. Keine bellenden Hunde. Kein Geschrei. Es ist so unheimlich still. Was, wenn er deine Mutter und Mira gefressen hat?«

Mira und Ikela sind wie vom Erdboden verschluckt.
Hat sie der mürrische Tatzelwurm gefressen?
        
        
        
    Landgrafschaft Hessen-Cassel, 29. Juni 1793
        
    Inzwischen war es nach Mitternacht und sie hatten immer noch kein Lebenszeichen von Mira und Ikela entdeckt. Die Dienerschaft, die sich zögernd aus den Verstecken wagte, war völlig ahnungslos. Von dem Tatzelwurm fanden sich durchaus Spuren, meist in Form von Fleischklumpen, die bisweilen kaum mehr Ähnlichkeit mit den Körperteilen von Tieren hatten. Auch etliche Palastwachen, die das Gemäuer nach Eindringlingen durchkämmten, wollten Gila gesehen haben.
    »Ich verstehe das nicht«, jammerte Arian. Die Sorge um Mira brachte ihn fast um den Verstand. Vielleicht war ihm deshalb so kalt. Es hatte sich zwar ein Mantel gefunden, um die zerrissene Chemise und die viele Haut, die sie kaum noch verdeckte, vor den Blicken der Soldaten zu verbergen, doch trotzdem zitterte er am ganzen Leib. Zum wiederholten Mal durchquerte er mit Ikelas Sohn nun schon den Burghof.
    »Bleib ruhig. Wir finden sie«, sagte Tarin. Er wirkte weit weniger besorgt.
    »Wen? Deine Mutter?«
    »Ich hatte eigentlich an beide gedacht: Sie und Mira.«
    »Meinst du, ich etwa nicht?«, gab Arian gereizt zurück.
    Tarin schmunzelte.

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