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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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rechten Schlüsselbeins tief in seine Brust.
    Marats Widerstand erlahmte nun endgültig. Er rief nach seiner Mätresse. »Zu Hilfe, meine liebe Freundin, zu Hilfe!« Selbst im Sterben war der Herold des Schreckens noch pathetisch wie in einem revolutionären Theaterstück.
    Mira berührte Charlottes Hand und sprang förmlich aus dem Körper des Sterbenden heraus. Während sie sich benommen von der Badewanne zurückzog, flog hinter ihr die Tür auf.

Mira flieht vom Schauplatz der Bluttat.
Sie möchte Arian noch einen letzten Dienst erweisen.
      
      
      
    Paris, 13. Juli 1793
      
    Mira wunderte sich über die Stille. Nachdem Laurent Basse und Catherine Évrard ins Badezimmer gestürzt waren, starrten sie einen Moment lang fassungslos auf die schreckliche Szene. Jean-Paul Marat saß blutüberströmt im Wasser, vor sich das Schreibbrett mit der Todesliste. Seine Augen waren verdreht, das Haupt taumelte hin und her. Auf dem Boden neben ihm lag ein Messer. Die vermeintliche Mörderin kam gerade wankend auf die Beine.
    Dann stieß Madame Évrard einen gellenden Schrei aus.
    Ihre Stimme riss den Zeitungsfalter aus seiner Starre. Er schnappte sich den Stuhl und hob ihn über den Kopf.
    Mit der Wanne im Rücken war Miras Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Also sprang sie Basse einfach an, während er zuschlug. Ihre Hand berührte gerade noch seine Wange, ehe der Stuhl den Hinterkopf von Charlotte Corday traf. Doch es war nicht Mira, die zu Boden ging.
    Sie blinzelte. Zum Glück war es nicht zu einem vollständigen Körpertausch mit Marat gekommen, sonst hätte sie nicht so kurz danach in den Leib von Laurent Basse wechseln können. Die Schreie hinter ihr waren verstummt. Sie drehte sich um.
    In der Tür stand eine weitere Frau, die Catherine Évrard ähnlich sah. Wahrscheinlich war es ihre Schwester Simone. Als sie ihren Liebsten röchelnd in der Wanne entdeckte, stürzte sie zu ihm, sank auf die Knie und konnte gerade noch sein umsinkendes Haupt auffangen. »Über uns wohnt ein Zahnarzt«, schluchzte sie, ohne sich umzuwenden. »Holen Sie Hilfe, Monsieur Basse!«
    Catherine sah benommen den vermeintlichen Zeitungsfalter an und deutete zur offenen Tür. »Eile, Laurent! Vielleicht ist er noch zu retten.«
    Mira warf einen letzten Blick auf Marat. Selbst im Dämmerlicht wirkte er kreidebleich. Aus seinem Mund sickerte Blut – das Messer musste seine Lunge durchlöchert haben. Dem Totschreiber war nicht mehr zu helfen. Sie hatte gute Gründe, trotzdem aus dem Zimmer zu laufen.

    Das »allsehende Auge des Volkes« war erblindet, nun dürstete das Volk nach Rache. Mira war erstaunt, wie schnell sich die Kunde von dem Badewannenmord in der Stadt verbreitete. Jean-Paul Marats Name würde auf alle Zeit mit dem von Charlotte Corday verbunden sein. Man habe sie zur Abbaye-aux-Bois gebracht, hieß es, eine ehemalige Abtei im 7. Arrondissement, die nach Auflösung der Klöster in ein Militärgefängnis umgewandelt worden war.
    Mira hatte die Seine bereits in nördlicher Richtung überquert und war auf dem Weg ins Quartier de la Madeleine. Am liebsten wäre sie sofort nach Hause gegangen, um wieder sie selbst zu sein. In der Hülle von Laurent Basse, dem Gehilfen des Totschreibers, fühlte sie sich schmutzig, weil sie deutlich spürte, wie abgöttisch er Marat bewundert hatte. Trotzdem lief sie nicht zum Hôtel de Lys . Der alte Zed würde noch etwas länger auf ihren Körper und seine vermutlich ziemlich verwirrte Bewohnerin aufpassen müssen. Sie hoffte, Charlotte Corday stellte nicht irgendetwas Dummes an.
    Während Mira durch die Straßen von Paris wanderte, versuchte sie Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. War sie eine Mörderin? Am Schluss hatte sie Marat verschonen wollen, aber dann war alles so gekommen, wie sie es seit dem Tod ihrer Eltern ersehnt hatte. Das Scheusal hatte für seine Untaten gebüßt.
    Trotzdem fühlte sie sich leer. Rache war nicht süß. Vielleicht liegt es an Arians Vermächtnis , dachte Mira. Ihr Retter verdiente etwas Besseres als das Massengrab. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Sie musste sich beeilen, um seine sterblichen Überreste vor der zersetzenden Wirkung des Löschkalks zu bewahren, mit denen man die Leichen der Guillotinierten bestreute.
    Mira hielt sich südlich der Rue Saint-Honoré. In der noblen Straße trieb sich zwar weniger Gesindel herum, doch sie führte an einem Platz vorbei, den sie lieber mied. Niemand von uns betritt ungestraft die Bannmeile um die Place Vendôme.

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