Die Masken des Morpheus
Arbeiten im Revolutionsmuseum ausgestellt, zum Ruhme unserer großen Nation. Das ist ein gewisser Trost.«
Miras Blick sank wieder zu dem Kopf in Madame Grosholtz’ Händen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie räusperte sich. »Dieser Mann war mein Freund. Würden Sie mir sein Haupt überlassen?«
»Ich bin untröstlich, Monsieur. Das kann ich nicht. Ich muss erst eine Wachskopie anfertigen. Nehmen Sie den Engländer, hat Monsieur M. mir befohlen …«
»Was?«, platzte Mira heraus. »Er ist ihr Auftraggeber?«
»Wie es scheint, kennen Sie ihn. Dann wissen Sie auch, dass man sich seinen Forderungen besser nicht widersetzt. Er hat von mir verlangt, das Modell persönlich bei ihm abzuliefern.«
»Wo genau?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Ich nehme an, Sie bringen den Wachskopf zur Place Vendôme?«
Madame Grosholtz schwieg.
»Welches Haus?«
»Das ist vertraulich.«
»Ist es vielleicht die Nummer… acht?«
Die Wachsbildnerin zuckte zusammen. »Wieso fragen Sie, wenn Sie schon alles wissen, Monsieur?«
Mira lächelte grimmig. Das war nicht schwer zu raten. »Ich wollte nur sichergehen. Monsieur M. schuldet mir noch etwas.« Sie deutete abermals auf Arians Haupt. »Da sie mir verwehren, meinen Freund zur letzten Ruhe zu betten, geben Sie mir bitte wenigstens sein rotes Glasauge.«
Madame Grosholtz musterte sie eindringlich. »Sähe ich nicht einen Mann vor mir …« Sie schüttelte den Kopf. »Meinetwegen. Das Modell bekommt ein neues Auge.«
Die Wachsbildnerin besaß offenkundig Übung im Umgang mit menschlichen Körperteilen. Geschickt löste sie den Feuerkristall aus der Augenhöhle, polierte ihn mit einem Lumpen und reichte ihn dem »Freund« des Toten.
»Danke«, sagte Mira und zeigte mit dem Kinn auf das Haupt. »Meinen Sie, ich darf… den Rest von ihm beisetzen lassen?«
»Das müssen Sie mit Monsieur Sanson besprechen. Mag sein, dass er eine Ausnahme macht.«
»Er ist schon gegangen und ich fürchte, morgen früh könnte es zu spät sein.«
»Gerade habe ich noch Clement Legros, seinen Gehilfen, dort drüben bei den Gräbern gesehen.« Sie deutete zum Ende des Langbaus, wo eine dunkle Gestalt zwischen den Grabsteinen herumgeisterte. »Er ist ein schweigsamer junger Mann, der sich in der Gesellschaft der Toten wohlzufühlen scheint. Vielleicht wird man so, wenn man täglich Menschen ins Jenseits befördert.«
Mira nahm mit einem letzten Blick still Abschied von ihrer unerfüllten Liebe. Ihre Hand umschloss den Feuerkristall. Nun hatte sie wenigstens ein Stück von ihm, das sie immer bei sich tragen konnte. Sie bedankte sich noch einmal bei Madame Grosholtz und lief zu den Gräbern.
Die Sonne war gerade untergegangen. Eine friedliche Stimmung lag über dem Totenacker. Die zwischen den Grabsteinen umherwandernde Gestalt hatte ihr den Rücken zugewandt. Sie hielt auf ihn zu. »Monsieur Legros!«
Er blieb stehen und drehte sich um, ein Blondschopf, kaum älter als Mitte zwanzig. Es war derselbe Mann, der auf dem Blutgerüst Arians Haupt der Menge präsentiert hatte. Von seiner Begeisterung war nichts mehr zu spüren. Er wirkte nachdenklich. Traurig? Aus grauen Augen sah er sie fragend an.
»Ich hätte eine Bitte«, sagte sie, als sie ihn erreicht und sich ihm als Laurent Basse vorgestellt hatte. »Einer der Hingerichteten war ein Freund von mir. Ein wirklich guter Freund. Ich möchte nicht, dass er anonym im Massengrab beerdigt wird.«
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Monsieur. Ich bin nur der Gehilfe des Henkers.«
»Ich gebe Ihnen auch Geld.« Sie kramte in ihren Taschen und holte alles heraus, was sie fand. Mit spitzen Fingern, um ihn nicht zu berühren, hielt sie ihm die Münzen hin. »Es ist nicht viel, aber ich besorge mehr …«
»Ich kann Ihnen nicht helfen«, fiel ihr Legros unwirsch ins Wort. Er drehte sich um, so als wolle er vor ihr fliehen.
»Warten Sie!«, stieß Mira hervor. »Bitte, Monsieur! Wenn Sie nur Francis Hubbards sterbliche Überreste zur Seite legen, damit ich sie morgen früh abholen kann. Es ist der Engländer, der gerade von Madame …«
»Woher kennen Sie seinen Namen?«, unterbrach sie der Henkersknecht.
»Äh …« Mira schluckte. Von Zed, Turtlenecks altem Lehrer, der mehr über den King wusste als sonst wer. »Wie ich schon sagte: Er war mein Freund.«
Clement Legros musterte sie wie Falschgeld. Sein Blick blieb an dem Feuerkristall in ihrer Rechten hängen. »Warum haben Sie dem Toten das Auge weggenommen?«, fragte er in
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