Die Masken des Morpheus
Scheiterhaufen wäre zwar besser, aber das ›Messer der Gleichheit‹ tut’s auch.«
»Dann bist du dabei?«
Tarin schniefte. »Ich kann’s kaum erwarten.«
Sie drehte behutsam den Schlüssel herum und öffnete leise die Tür, hinter der Zed das Mädchen aus Caen eingeschlossen hatte. Im Spalt sah sie Charlotte Corday. Sie stand vor einem Spiegel, die grünen Augen weit aufgerissen, sich mit den Händen durch die feuerroten Haare fahrend, und schüttelte unentwegt den Kopf. Mira atmete erleichtert auf.
»Es kann ganz schön beängstigend sein, wenn man zum ersten Mal in einem fremden Leib erwacht«, sagte sie, während sie rasch den Raum betrat und die Tür ins Schloss drückte.
Das Provinzfräulein starrte sie entsetzt an. »Ich habe Sie heute früh schon einmal gesehen. In der Wohnung dieses Scheusals …«
»Sie meinen Laurent Basse? Der bin ich aber nicht. Mein Name ist Mira du Lys. Ich bin das Mädchen, das auf der Place de la Révolution vor Ihren Füßen in Ohnmacht gefallen ist. Ihr Pech war, dass ich eine Körpertauscherin bin.«
»Eine …? Ich weiß nicht, was das sein soll. Und überhaupt: Wieso sollte ich Ihnen glauben? Hat Marat Sie geschickt?«
Mira ging langsam auf Charlotte zu. »Sie meinen, damit Sie einen Mord gestehen, den eine andere begangen hat?«
»Heißt das … ?«
Sie nickte. »Der Herold des Schreckens ist für immer verstummt. Ich habe ihn so getötet, wie Sie es geplant hatten, Charlotte – abgesehen von ein paar kleineren … Abweichungen.«
»Woher wollen Sie wissen, was ich vorhatte?«
»Manche Changeurs nennen es Seelenecho, einige sprechen vom Abfärben. Warten Sie, ich zeige es Ihnen.« Sie hatte inzwischen das Mädchen erreicht und berührte kurz seine Hand.
Der Körpertausch warf Charlotte fast um. Mira musste sie stützen, um sie auf den Beinen zu halten. Beruhigend auf sie einredend, führte sie die junge Frau zu einem Canapé. Diesmal verkraftete sie den Wechsel erheblich besser.
»Wir sind jetzt Schwestern«, sagte Mira, nachdem sie auf Abstand gegangen war.
Das Mädchen aus Caen, das nun wie der Zeitungsfalter Laurent Basse aussah, blinzelte benommen. »Wie … meinen Sie das?«
»Wir können einander spüren. Ich habe selbst gerade erst bemerkt, dass du ein Changeur geworden bist. Dergleichen passiert nicht oft. Von nun an wirst du mit jedem den Körper tauschen, den du mit bloßer Haut flüchtig berührst.«
Charlotte schlug die Hände vor das Gesicht. »Das ist ja furchtbar, ein Fluch!«
»Manchmal kann dieser Fluch einen vor dem Tod bewahren. Warum hast du den ›Volksfreund‹ umbringen wollen, abgesehen davon, dass er ein Scheusal ist?«
Sie blickte ihr Gegenüber wieder an. Etwas Trotziges trat in ihre Augen. »Sehen Sie nicht, wie sich Jakobiner, Sansculotten und Girondisten gegenseitig zerfleischen? Aus Angst, selbst auf die Guillotine zu kommen, schwärzt man lieber die anderen an, damit sie zuerst geköpft werden. Ich sah einen Bürgerkrieg in ganz Frankreich entbrennen und war überzeugt, dass Marat der Haupturheber des Unheils ist. Da habe ich es vorgezogen, das Opfer meines Lebens zu bringen, um das Blutvergießen zu beenden und mein Vaterland zu retten.«
So viel Pathos fand Mira eher albern. Sie verkniff sich ein Schmunzeln. »Hoffentlich bist du nicht enttäuscht, Schwester, dass du weiterleben wirst. Ich empfehle dir, die Stadt zu verlassen und dir irgendwo einen netten Körper zu suchen.«
»Ich soll…?« Charlotte klappte die Kinnlade herab. Plötzlich brach, so schien es, der Trotz aus ihr hervor. »Ich will meinen eigenen Leib wiederhaben.«
»Das können wir einrichten. Du stirbst dann nur für eine Tat, die du nicht begangen hast. Möchtest du das wirklich?«
Das Mädchen, das wie ein unglücklicher Mann aussah, sank gegen die Lehne des Canapés und murmelte ein kleinlautes Nein.
»Das Leben eines Changeurs hat auch viele schöne Seiten«, sagte Mira deutlich sanfter als zuvor. »Du kannst dich als Falke in die Lüfte schwingen oder als edles Ross über Felder galoppieren. Geh aufs Land und lerne, mit deinen neuen Möglichkeiten umzugehen. Kennst du jemanden in Paris, der vertrauenswürdig ist und dir helfen würde?«
»Monsieur Barbaroux. Er ist Abgeordneter im Konvent.«
»Gut. Gehe zu ihm. Aber heute Nacht wirst du Gast in meinem Haus sein. Ich sollte dir das ein oder andere erklären, damit du als Körpertauscherin überlebst.«
»Wie kann ich Ihnen danken, Mademoiselle du Lys?«
»Sag Mira zu mir. Wenn dir immer
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