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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der Ferne vernahm er die gedämpften Stimmen einer aufgeregten Menschenmenge. Jenseits des Zauns zur Rechten eilte ein Mann entlang. Er trug einen Dreispitz unter dem Arm und reckte die Nase dem Schauplatz des Verbrechens entgegen, als folge er dem Geruch des Blutes. Von der düsteren Erscheinung des Walisers nahm er keine Notiz.
    Arian lief auf die Bäume zu. Am liebsten wäre er zu Eibo gerannt, er zügelte aber seine Schritte, um nicht mehr als nötig aufzufallen. Als er die Puppe aus dem Gras aufhob, spürte er einen Anflug von Erleichterung. »Jetzt wird alles gut«, sagte er leise. Das Gefühl verflog allzu rasch, als er sich auf den Seelendieb konzentrierte.
    Er konnte ihn spüren. Zumindest glaubte er das. Was sich da in ihm regte, war bei Weitem schwächer als das zuvor verspürte Kribbeln. Vielleicht betrog er sich auch nur selbst und deutete das Verlangen nach dem eigenen Körper als echte Wahrnehmung. Er hätte sich nie vorzustellen vermocht, wie zerrissen man sich mit einer halbierten Seele fühlte.
    Zügig überquerte er Dean’s Yard nach Süden hin und folgte anschließend der College Street in östlicher Richtung. Die Passanten starrten den Riesen mit der Puppe an wie einen Schwachsinnigen. Als er auf die Abington Street stieß, blieb er unschlüssig stehen und wünschte sich ein Hund zu sein. Dann hätte er wenigstens einer richtigen Witterung folgen können und nicht dieser vagen Ahnung.
    Während er so dastand, griff er gedankenversunken in die Hosentasche und zog ein Geldstück heraus. Er winkelte den Arm an und die Kupfermünze begann über seine Finger zu wandern, indem sie von einem auf den nächsten überkippte. Plötzlich hielt er inne und starrte verdutzt den Halfpenny an. Er beherrschte zwar eine ganze Reihe von Taschenspielertricks, aber dieser Münzflickflack gehörte nicht dazu. Eigentlich. Und woher hatte seine Hand gewusst, wo sie das Geldstück finden würde?
    Arians Blick wandte sich nach links. Mit einem Mal glaubte er zu wissen, in welche Richtung Mister M. gegangen war. Er folgte seinem Gefühl und lief nach Norden. Vielleicht war auch diese Ahnung ein Vermächtnis des fremden Körpers – Hooter mochte Mister M. schon längere Zeit beobachtet haben.
    Mit der wachsenden Zuversicht wurden Arians Schritte immer schneller. Rechts von ihm zogen die Regierungsgebäude vorüber, das House of Lords und bald darauf die gewaltige Westminster Hall, eine der größten Hallen Europas und ein Hort britischer Rechtsprechung. Ob sein Fall dort Gehör finden würde? Mit seiner unglaublichen Geschichte würde er bestenfalls im Tollhaus landen, schlimmstenfalls erwartete ihn ein Kerkerloch in Newgate, bis zu seiner Hinrichtung vor den Mauern des Gefängnisses. Arian zog den Dreispitz tiefer ins Gesicht, um seine verräterische Nase zu beschatten. »Das passiert uns nicht, Eibo«, sagte er zu der Puppe, die unter seinem linken Arm klemmte. »Ich weiß nicht wie, nicht wo und nicht wann, aber wir holen uns diesen Seelendieb und machen alles rückgängig.«
    Er atmete erleichtert auf, während er den New Palace Yard überquerte und die erdrückende Masse der Halle hinter ihm zurückblieb. Als er mit weit ausholenden Schritten die Westminster Bridge überquerte und die Reiterfigur auf dem Dach von Astleys Amphitheater in Sicht kam, verspürte er ein leises Prickeln im Nacken. Konnte das sein? Ihn beschlich eine furchtbare Ahnung.
    Arian lief schneller. Die Spur führte tatsächlich in die Reitschule. Auf den Stufen des Eingangs wurde ihm bewusst, dass ihn so, wie er jetzt aussah, niemand kannte. Sollte er sagen, er habe die berühmte Puppe Eibo auf Dean’s Yard gefunden und wolle sie seinem Besitzer zurückbringen? Sicher würde er damit nur eine Menge unangenehmer Fragen provozieren.
    Unverrichteter Dinge machte er auf dem Absatz kehrt und eilte in die Stangate Street. Er folgte dem Bretterzaun, bis er auf ein Tor stieß. Glücklicherweise war es unverschlossen.
    Dahinter lag ein kleiner, ungepflasterter Hof mit mehreren Wirtschaftsgebäuden. Als Arian diesen betrat, fühlte er die Präsenz des Seelendiebs schon beinahe wieder so stark wie zuvor auf Dean’s Yard. Sie führte ihn geradewegs in einen der Ställe. Das Tor war halb geöffnet. Aus dem Innern vernahm er die Stimme des Sergeant Major. Er klang aufgeregt, sagte irgendetwas von einflussreichen Freunden.
    Leise schlüpfte Arian durch den Türspalt. Während er sich im Halbdunkel des Stalls hinter die Holzfässer mit dem Pferdefutter duckte

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