Die Masken des Morpheus
plötzlich jemand von der Tür her.
Irgendwoher kannte er diese Stimme, die wie die tiefste Saite eines Kontrabasses vibrierte und unverkennbar einem Iren gehörte. Im Chaos der Ereignisse wusste er sie jedoch nicht gleich einzuordnen. Wenn er jetzt nicht aufpasste, würde ihm der Seelendieb entwischen. Mit ausgebreiteten Armen näherte sich Arian dem Unhold. »Warum haben Sie das getan, Sie Mörder?«
»Sind Sie das, Master Pratt?«, staunte Mortimer. Sein jugendliches Gesicht verzog sich zu einer Fratze des Abscheus. »Allmählich begreife ich, wieso Zoltán an Ihnen gescheitert ist. So viel Ärger kann einem nur der Bastard eines Swappers und einer Ruhenden einhandeln.«
»Halten Sie den Mund und rühren Sie sich nicht vom Fleck!«, schrie Arian, ohne innezuhalten. Was für ein merkwürdiges Gefühl, sich selbst zu jagen!
Der Seelendieb deutete auf Hooters grobschlächtige Gestalt und spielte das Unschuldslamm. »Das da ist der Täter, Mister. Er hat den Sergeant Major erschlagen. Ich habe ihn gerade hier neben diesem blutigen Hufeisen gefunden.« Demonstrativ zeigte er es dem Iren.
»Er lügt!«, rief Arian zornig.
»Offenkundig halten Sie beide mit der Wahrheit hinter dem Berg«, sagte der Ire. »Mike wäre zu so einer Bluttat nicht imstande. Außerdem ist er Rechtshänder und Sie haben die Mordwaffe mit der Linken aufgehoben. Wer sind Sie, Sir?«
»Ich bin Mike Astley«, antwortete der Seelendieb.
»Da habe ich meine Zweifel, wenn Sie gestatten. Ich schlage vor, Gentlemen, wir überlassen dem Constable die Aufklärung des Rätsels. Keiner rührt sich von der Stelle, bis Hilfe kommt.« Arian hörte ein schabendes Geräusch. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass der Ire eine schmale, dreieckige Degenklinge aus seinem Gehstock gezogen hatte. Gerade lief er um die Fässer herum und nun erkannte Arian ihn.
»Sir D’Arcy?« Condron D’Arcy war ein irischer Edelmann aus Loughrea, der mit dem Sergeant Major im Siebenjährigen Krieg in Amerika gekämpft hatte. Offenbar nutzte er den Londonaufenthalt seines alten Kameraden für einen Besuch.
»Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir einander bereits vorgestellt wurden, Sir«, entgegnete der Ire. Er wirkte auf den ersten Blick nicht gerade bedrohlich. Sein zum Zopf gebundenes Haar war grau, die untersetzte Statur eher klein und das faltige Gesicht sah trotz bemühter Entschlossenheit nicht sonderlich kriegerisch aus. Im Handgelenk wenigstens war er beweglich, wie die kreisende Klinge verriet.
»Wir kennen uns. Ich erkläre Ihnen alles, sobald wir diesen Kerl hier dingfest gemacht …«
»Sie bleiben beide stehen! Keiner bewegt sich, bis die Kavallerie da ist.« Mit erhobener Waffe baute sich der Ire mitten im Gang auf. Die Botschaft war unmissverständlich: An meinem Degen kommt niemand vorbei.
»Ich bin unschuldig«, verteidigte sich Arian. Er spürte einen Zorn in sich, der aus den Tiefen von Hooters verdorbener Seele kam. Seine Halsschlagader pochte. Irgendwie musste er den Alten überzeugen.
»Das wird noch festzustellen sein.« Sir D’Arcy wandte sich dem Seelendieb zu. »Hufeisen fallen lassen.«
Mortimers Blick wechselte von Arian zu dem Iren und wieder zurück. Was ging ihm durch den Kopf?
»Weg mit dem Ding!«, wiederholte Sir D’Arcy scharf und machte einen Schritt auf den Mörder zu.
Der Seelendieb warf das blutige Eisen mit einem verächtlichen Schnauben in den Dreck. »Zufrieden?«
»Wer sind Sie?«
»Ein Teufel in Menschengestalt«, rief unvermittelt eine knarrende Stimme.
Der Zwischenruf ließ Arian vor Schreck zusammenfahren. Wer war das gewesen? Hatte Mortimer einen Komplizen? Der Unbekannte versteckte sich irgendwo links hinter einigen zum Trocknen aufgehängten Pferdedecken.
Sir D’Arcy riss überrascht den Degen herum. »Wer ist da? Zeigen Sie sich.«
»Leichter gesagt als getan«, krächzte der andere.
Aus den Augenwinkeln gewahrte Arian eine huschende Gestalt. Sein Kopf flog nach rechts und ihm entfuhr ein zorniges »Halt!«.
Mortimer hatte die Verwirrung genutzt und sich auf einen der Holme geschwungen, die zur Abtrennung der Pferdestellplätze dienten.
»Stehen bleiben!«, rief Sir D’Arcy und schritt ächzend zur Tat, wohl in der Absicht, den Mörder mit blanker Klinge zu stellen. Leider fehlte dem alten Mann die dazu nötige Beweglichkeit.
Der Seelendieb lachte von oben verächtlich auf sie herab. »Fangt mich doch.« Es schien, als habe er nicht nur den Körper des Seiltänzers Mike Astley gestohlen,
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