Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
räumen. Er hat es kürzlich an seinen Partner Antonio Franconi verkauft. Warum fragst du?«
    »Ich dachte, du hättest eurer Dependance vielleicht in jüngerer Vergangenheit einen Besuch abgestattet und das neue Paris gesehen. Dann würdest du Paul besser verstehen. Als König Ludwig noch seinen Kopf auf den Schultern trug, hegten einige Engländer ja durchaus Sympathien für die Revolution.«
    »Du denkst an die Hinrichtungen?«
    Miras Gesicht erstarrte, so als habe ihre Haut sich in weißen Marmor verwandelt. »Das rasoir national – das ›nationale Rasiermesser‹, wie wir die Guillotine nennen – ist nur die hässliche Fratze des Ungeheuers. Schlimmer ist das, was mein Vater die Versteinerung der Herzen nannte. Spätestens als Frankreich im vergangenen Jahr den Österreichern den Krieg erklärte, hat die Revolution ihre Unschuld verloren. Hunderttausende junger Männer haben zu den Klängen der Marseillaise die unmenschlichsten Gräueltaten verübt. Im letzten September hat der Pöbel unter den Augen des Justizministers Danton dreitausend Königstreue abgeschlachtet. Man könnte meinen, ein unsichtbarer Drahtzieher habe diese Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, um die Gefühle der Menschen abzustumpfen und sie für etwas noch Furchtbareres gefügig zu machen.«
    Arian kroch eine Gänsehaut über den Rücken. »Denkst du dabei an … meinen Großvater?«
    Sie blickte aufs Meer hinaus. »Was ich denke, spielt keine Rolle. Ich weiß nur, dass viele von Mortimers Gefolgsleuten seit Beginn der Revolution in Schlüsselpositionen der Macht gelangt sind.«
    »Soll das heißen, du kennst sie alle?«
    »In der ganzen Welt leben nur ein paar Hundert Tauscher, von denen etliche sich tatsächlich gegenseitig kennen. Mein Vater hat mir eine Namensliste vermacht. Sie könnte uns in den deutschen Landen nützlich sein, um einige Metasomen aufzuscheuchen. Irgendeiner wird uns sicher sagen können, wo wir Ikela finden.«
    »Nicht so schnell, Mira. Habe ich das eben richtig verstanden? In Frankreich gibt es eine Schattenregierung aus Swappern?«
    »Sie ist gerade im Entstehen. Wobei sich Mortimer nicht allein auf Körpertauscher stützt. Etliche seiner Gefolgsleute steigen schlicht deshalb in wichtige Ämter auf, weil das Rasiermesser ihre Vorgänger entfernt hat. Ganz neu ist das nicht, nur rücksichtsloser, als es Morpheus jemals war. Schon unter ihm haben die Ewigen im Laufe der Jahrhunderte riesige Vermögen angehäuft. Und so mancher gute Fürst ist über Nacht zu einem üblen Herrscher geworden.«
    »Du meinst, weil plötzlich ein Swapper in ihm steckte?«
    Mira nickte. »Was glaubst du, warum die gemäßigten Girondisten beim Aufstand der Sansculotten letzte Woche entmachtet wurden? Die Tauscher unter Mortimers Anhängern stehlen einfach die Körper einflussreicher Männer und Frauen, damit vertraute Gesichter das Volk verführen können. Georges Danton, Maximilien de Robespierre oder sein hübscher Todesengel, dieser Antoine de Saint-Just – die Revolution scheint Advokaten und erfolglose Schreiberlinge in blutrünstige Ungeheuer zu verwandeln. In Wirklichkeit sind es Entleibte, in denen die niederträchtigsten Schergen Mortimers den Blutdurst der Massen anheizen.«
    »In der Zeitung stand, dass eine vierköpfige Familie kurz vor dem Sturm auf die Bastille dreißig Sous für ihr tägliches Brot bezahlen musste. Das war mehr, als mancher Tagelöhner verdiente. Da muss sich doch der Volkszorn regen.«
    »Das stimmt. Mich erschreckt nur, wie man neuerdings mit Andersdenkenden umgeht. Als sich im Mehlkrieg von 1775 die Massen wegen zu hoher Brotpreise erhoben, verurteilte man nur die beiden Rädelsführer zum Tode. Die Hinrichtungen wurden nach einem Gnadenerlass des Königs nicht einmal vollstreckt. Seit den Septembermorden im letzten Jahr nehmen die Grausamkeiten dagegen fast täglich zu. Heute werden Querköpfe einfach mit dem Fallbeil abgeschnitten. ›Seien wir schrecklich, damit das Volk es nicht zu sein braucht!‹, sagte Danton am 10. März vor dem Konvent, als er die Gründung eines Revolutionstribunals vorschlug. Die Todesurteile der Jury kann man nicht kassieren – eine Berufung ist ausgeschlossen. Das mag vielleicht zynisch für dich klingen, doch Morpheus hatte stets maßgehalten. Seine Manipulationen waren nur für die Eingeweihten erkennbar. Aber jetzt …« Sie schüttelte den Kopf.
    »Allmählich verstehe ich, warum du mich vor Ikela gewarnt hast. Sollte sie diese … Drahtzieherin sein, ist unser Leben

Weitere Kostenlose Bücher