Die Masken von San Marco
auch gestohlen worden sein.»
«Was habt ihr vor?»
«Die Sektion abzuwarten und eventuell mit den Fotografien, die Bossi von dem Toten gemacht hat, nach Verona zu fahren. Jedenfalls werden wir morgen Vormittag wissen, ob der Mann ermordet worden ist oder nicht.» Tron häufte einen Löffel Schlagsahne auf die letzte Ananasscheibe und streute großzügig Mandelkrokant darüber. «Und dann sehen wir weiter.»
Eine Redewendung, dachte Tron, die nicht nur geeignet war, fruchtlose Diskussionen zu beenden, sondern auch als Motto über dem Leben stehen konnte, das er in den letzten Jahren geführt hatte. Immer war etwas abzuwarten, das niemand beeinflussen konnte, und solange es nicht eintrat, blieben die Dinge in der Schwebe: seine Heirat mit der Principessa, sein Status in ihrem Leben, ihr Status in seinem Leben und jetzt auch die Position der Contessa in diesem diffusen Geflecht. Was würde mit ihr geschehen, wenn es zu Schutzzöllen auf venezianisches Glas kam? Und wie lange würde sich die Entscheidung in Wien hinziehen? Tron hatte gehofft, dass die Principessa das heikle Thema an diesem Abend nicht mehr anschneiden würde. Aber nachdem der Kaffee serviert worden war, kam sie noch einmal darauf zurück.
«Stimmt es, dass der Kaiser auf seinem Besuch von der Kaiserin begleitet wird?»
Interessant, dachte Tron, offenbar wusste die Principessa bereits Bescheid. Er zuckte mit den Achseln. «Jedenfalls geht Spaur davon aus.»
Die Principessa löffelte ein wenig Zucker in ihren Kaffee. Dann sagte sie nachdenklich, so als wäre ihr der Gedanke gerade erst gekommen: «Du könntest mit der Kaiserin sprechen.»
«Ich soll um eine Audienz nachsuchen?»
Die Stimme der Principessa klang ein wenig ungeduldig.
«Nicht um eine Audienz nachsuchen, Tron. Die Kaiserin bei passender Gelegenheit um eine kurze Unterredung bitten.»
«Die Frage ist, ob sich diese Gelegenheit ergibt.»
«Du siehst die Kaiserin doch! Immerhin werdet ihr auf sie aufpassen, wenn sie in Venedig ist.»
Tron schüttelte den Kopf. «Werden wir nicht. Für die Sicherheit der kaiserlichen Familie ist diesmal ausschließlich das Militär zuständig.»
«Warum das?»
«Weil man in Wien der venezianischen Polizei nicht über den Weg traut.»
«Sie halten euch alle für Anhänger Garibaldis?»
Tron nickte. «So ungefähr. Ich werde also keine Gelegenheit haben, die Kaiserin zu sprechen. Man wird mich nicht einmal in ihre Nähe lassen. Es sei denn, sie hat ein kriminalistisches Problem und braucht meine Hilfe. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich.» Tron schob den Teller mit den Resten zerflossener Schlagsahne zur Seite und streckte die Hand nach dem Champagnerglas aus. «Abgesehen davon», fuhr er fort, «bezweifle ich, dass sich die Kaiserin für die Probleme von venezianischen Glasproduzenten interessiert. Und dass sie in der Lage ist, uns zu helfen.»
Eigentlich hatte Tron erwartet, dass die Principessa ihm widersprechen würde – in ihrem scharfkantigen Florentiner Italienisch. Aber das tat sie nicht. Stattdessen stand sie auf und ging zum Fenster. Da Moussada, der äthiopische Diener, den Raum bereits verlassen hatte, zog sie den Vorhang höchstpersönlich beiseite und öffnete die Fensterflügel.
Tron sah, dass das Rechteck zwischen den Fensterrahmen fast vollständig schwarz war. Lediglich vom Palazzo Barbaro her schimmerten ein paar Lichtpunkte über den Canalazzo, flackernd wie die Positionslichter eines Schiffes. Ein Windstoß trieb einen Schwall feuchter Luft in den Raum – Herbstluft, die nach gefrorenem Seetang roch.
Tron erhob sich und ging ebenfalls zum Fenster. Als er neben die Principessa trat, lächelte sie, drehte die Augen zur oberen Etage und sah ihn fragend an. Tron wusste, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Er zog die Principessa an sich und küsste sie, zuerst sanft, dann nachdrücklicher. Seine Hände glitten über ihren Rücken zu ihrer Taille herab.
Der Stoff ihres Hauskleides fühlte sich glatt und weich an.
Tron machte eine Handbewegung zum Tisch hin, auf dem immer noch der silberne Kübel mit dem Champagner stand. «Soll ich den Champagner mitnehmen?»
Diesmal sprach die Principessa reinstes veneziano. «Nimm den Champagner mit», sagte sie. «Morgen kann man ihn nicht mehr trinken.»
Tron musste lachen. «Und dafür ist er zu teuer. Ist es das, was du sagen wolltest?»
Die Principessa nickte. «Genau das wollte ich sagen.»
8
Es waren die Schreie, die ihn jedes Mal aus dem Schlaf rissen. Dann erwachte er
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