Die Masken von San Marco
Turin eine gewisse Aufregung», sagte Oberst Hölzl. «Ich hielt das für so wichtig, dass ich es Ihnen persönlich mitteilen wollte. Zumal sich noch eine weitere Komplikation ergeben hat.» Oberst Hölzl räusperte sich nervös. «Als der Mann sich nicht in Turin gemeldet hat, ist ein Telegramm an einen gewissen Ziani geschickt worden.»
«Ziani? Wer ist das?»
«Jemand aus der Gruppe. Er zieht das rechte Bein ein wenig nach.»
«Dann nennt er sich Rossi», meinte Boldù. «Das ist der Mann, der mich vom Bahnhof abgeholt hat.» Er schwieg einen Moment. Als er sprach, konnte Oberst Hölzl den Unmut in seiner Stimme hören. «Sie hatten mir versichert, dass sich der Kontakt zwischen den verschiedenen Gruppen auf ein Minimum beschränkt. Wissen Sie, was in dem Telegramm steht?»
«Dass Ziani diese Information vorerst für sich behalten soll», sagte Oberst Hölzl.
«Weil man nicht allen Mitgliedern der venezianischen Gruppe traut?»
Oberst Hölzl nickte. «Es sieht fast danach aus. Wie groß ist die Gruppe?»
«Vier Personen», sagte Boldù. «Ziani, der sich jetzt Rossi nennt, und noch drei weitere.»
«Und was haben die Leute vor?»
«Sie basteln Bomben», antwortete Boldù. «Sie wollen sie aus der Menge heraus auf den Kaiser werfen und anschlie ßend fliehen.»
Über so viel Naivität konnte Oberst Hölzl nur den Kopf schütteln. «Die meisten Zivilisten auf der Piazza sind in Wahrheit Soldaten aus Verona und Peschiera, die man in Zivilkleidung nach Venedig geschickt hat, um zu jubeln», sagte er.
«Ihre Freunde hätten keine Chance zu entkommen.» Der Oberst sah Boldù an. «Wissen Sie, ob die Leiche des Mannes, den Sie getötet haben, bereits gefunden worden ist?»
«Schon am Montag», antwortete Boldù. «Sie haben sie aus der nördlichen Lagune gezogen, und ich habe das Eisenbahnbillett in der Tasche des Toten gelassen. Das ist die erste Spur, und sie sind ihr bereits gefolgt. Die Polizei war heute Mittag auf der Isola di San Michele.»
Oberst Hölzl war überrascht. «Woher wissen Sie das?»
Boldù lächelte. «Weil ich heute dort gewesen bin. Sie sind vermutlich mit einer Fotografie des Toten auf dem Bahnhof von Verona gewesen. Da haben sie erfahren, dass der Mann mit einem Sarg gereist und dass dieser noch am Sonntag nach San Michele gebracht worden ist. Dort werden sie sich erkundigt haben, wer die Grabstelle bestellt hat und wer alles auf der Beerdigung war. Ich denke, es war nur ein einziger Mensch auf der Beerdigung, und der wird dem Priester ein Märchen erzählt haben.»
«Dieser Ziani?»
«Oder einer der drei anderen. Auf jeden Fall wird die Polizei eine Spur verfolgen, die erst mal im Nichts endet.»
«Was werden sie dann tun?»
Boldù überlegte einen Moment. «Äußerst misstrauisch werden. Und weitermachen.»
«Aber wie?»
«Möglicherweise werden sie so misstrauisch werden, dass sie sich den Sarg ansehen», erklärte Boldù. «Das würde mir die Arbeit erleichtern.»
«Der Kaiser kommt am Dienstag», sagte Oberst Hölzl.
«Die venezianische Polizei muss diese Leute spätestens am Montag unschädlich gemacht haben.»
Boldù stieß ein humorloses Lachen aus. «Notfalls lege ich einen zweiten Köder für sie aus. Einen, den sie unmöglich übersehen können. Wann bekomme ich das genaue Protokoll des kaiserlichen Besuchs?»
«Am Montag», antwortete Oberst Hölzl, froh, dass sich das Gespräch dem Ende näherte. «Der Besuch des Kaisers im Markusdom wird am Donnerstagnachmittag stattfinden.
Die lokalen Behörden erfahren aus Sicherheitsgründen den genauen Ablauf erst Donnerstagmorgen. Ich hinterlasse Ihnen wieder eine Nachricht poste restante. Kommen Sie zweimal täglich auf die Hauptpost.» Oberst Hölzl genoss es, eine Art Befehl geben zu können.
«Wie erreiche ich notfalls Sie?»
«Auf dem gleichen Weg», sagte Oberst Hölzl. «Postla gernd für Signor Mödling.»
Sie verabschiedeten sich mit einer knappen Verbeugung.
Boldù verschwand so geräuschlos, wie er aufgetaucht war, und Oberst Hölzl packte den Griff seines Spazierstocks – seines Stockdegens – unwillkürlich ein wenig fester, als er in die Dunkelheit schritt.
18
Tron, der heute ungewöhnlich früh in die Questura gekommen war, legte das letzte Protokoll zu den anderen Polizeiprotokollen, die er bereits sorgfältig studiert hatte.
Was für eine friedliche Stadt Venedig doch war, dachte er, während er den Aktendeckel zuklappte. Nicht nur im Sestiere von San Marco, sondern auch in den fünf
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