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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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hob den Kopf und lächelte männlich. «Wann  kommen die nächsten Ratten?»

    Drei Stunden später gingen sie, Königsegg und Andreotti, Arm in Arm die Riva degli Schiavoni entlang. Es regnete nicht, aber ein feiner Schleier aus winzigen Wassertröpfchen hing in der Luft. Am anderen Ende der Riva waren undeutlich die Lichter der Piazzetta zu erkennen, auf der linken Seite konnte man die schwappenden Wellen des Lagunenwassers hören.
    Königsegg hatte sich seit langem nicht mehr so prächtig gefühlt. Zweimal hatte er lautstark das Fiakerlied angestimmt, konnte sich dann aber nicht mehr an den Text erinnern, was er sehr bedauerte, denn Andreotti hatte sich lobend über seine Stimme geäußert. Überhaupt Andreotti – wie kam es, dass er diesen Mann bei ihrer ersten Begegnung so völlig falsch eingeschätzt hatte? So negativ! Hatte es an dem Hackmesser gelegen? An Andreottis spitzen Zähnen und seinem Mundgeruch? Oder gar an veralteten Standesvorurteilen, die er als modern denkender Mensch längst über Bord geworfen haben sollte?
    Andreotti hatte sich jedenfalls als ein interessanter und äußerst sympathischer Bursche erwiesen. Und als ein wandelndes Lexikon! Über was der alles Bescheid wusste! Über Manchester-Terrier! Über Pitbull-Terrier! Über Jack-Russel-Terrier! Und darüber, welcher Hund wann und wo und in welcher Zeit wie viele Ratten zu Tode geschüttelt hatte! Sagenhaft!
    Sie hatten bis zum Schluss in der Halle ausgeharrt. In der letzten Runde war ein virtuoser Pitbull gegen eine ganze Hundertschaft Ratten angetreten und hatte die Tiere in unglaublichen sieben Minuten und siebzehn Sekunden zur Strecke gebracht. Ein neuer Rekord! Die Zuschauer hatten regelrecht getobt, und auch Königsegg hatte das Geschehen erregt verfolgt. Inzwischen empfand er eine tiefe Bewunde rung für diese vierbeinigen Gladiatoren. Ob diese speziellen Hunde teuer waren? Ob sie ihm treue Gefährten sein würden? Und was würde die Gräfin Königsegg dazu sagen, wenn er sich in Zukunft einer Sportart widmen würde, die vielleicht nicht jedermanns Geschmack entsprach? Königsegg hatte das unangenehme Gefühl, dass die Gräfin einem derartigen Vorhaben mit Vorbehalten begegnen würde.
    Aber vielleicht konnte er ihr dafür die Einstellung seiner Casino-Besuche anbieten.
    Das großzügige Angebot Andreottis, sich sine pecunia an den duftenden Fleischspießchen aus eigener Herstellung zu laben, hatte Königsegg dankend abgelehnt. Er hatte es auch taktvoll vermieden, Fragen nach der Herkunft der leckeren Häppchen zu stellen. Stattdessen hatte Königsegg dem süffigen Grappa zugesprochen, der an Andreottis Imbiss ausgeschenkt wurde. Wie der ihm geschmeckt hatte! Und wie viel man davon trinken konnte, ohne dass es einem schlecht wurde! Seinem Magen jedenfalls ging es großartig, und sein Kopf war im Prinzip klar, auch wenn er hin und wieder einmal zur Seite oder auf die Brust sackte. Nur seine Beine fühlten sich schwach und gummiartig an. Kein Wunder, dass er ständig ins Schlingern geriet, und deshalb war es auch gut, sich bei Andreotti – bei Ercole! – einzuhaken. Ein schöner Name, dachte Königsegg. Herkules! Ein Name, den er nie erfahren hätte, wenn sie nicht an diesem anregenden Abend – jawohl! – Brüderschaft getrunken hätten!
    Herkules und Eberhard!
    Die Anschrift des professore hatte Königsegg problemlos erfahren. Der patrone war tatsächlich noch erschienen, ein massiver, sorgfältig gekleideter Mann, der ihm, ohne seinerseits Fragen zu stellen, mitgeteilt hatte, dass der professore in Padua wohnte und gelegentlich eine Wohnung – oder auch zwei – in einem seiner Objekte mietete, wohl um dort geschäftliche Transaktionen durchzuführen. Welcher Art, sei ihm nicht bekannt. Zurzeit bewohne er zwei Zimmer über einer macelleria am Campo San Maurizio.
    Als Königsegg sich kurz vor Mitternacht von Andreotti auf der Piazza verabschiedete, spielte er einen Moment lang mit dem Gedanken, Andreotti – Ercole – darum zu bitten, ihn morgen bei seinem Besuch am Campo San Maurizio zu begleiten und vorsichtshalber das Hackmesser einzustecken.
    Aber dann hielt er es doch für besser, diesen Besuch ohne seinen neuen Freund zu absolvieren. Die coagulatio der Kette würde unweigerlich dabei zur Sprache kommen, und einen allzu tiefen Blick in seine Angelegenheiten wollte er Andreotti – Ercole – nun doch nicht tun lassen.

22
    «Ach, armer Yorick», sagte Tron.
    Bossi, der Totengräber, lehnte den Spaten an den Rand der Grube

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