Die Masken von San Marco
gab ihm das Aussehen eines Generalstabsoffiziers. Tron umrundete den Baccarat-Tisch zwischen ihnen, und als Zorzi ihn kommen sah, streckte sein alter Schulfreund ihm vergnügt die Hand entgegen. «Wolltest du spielen?»
Tron lachte. «Genau die gleiche Frage hast du mir gestellt, als wir uns das letzte Mal gesehen haben.»
Zorzi dachte einen Augenblick nach. «Richtig, der Lloyd-Fall. Ich erinnere mich.» Mit einem resignierten Lä cheln und weil er davon ausging, dass keiner seiner Gäste Italienisch, geschweige denn veneziano verstand, sagte er: «Damals ging es bei uns ein wenig vornehmer zu.»
«Ich bin gefragt worden, ob ich zur Cook-Party gehöre», sagte Tron.
Zorzi seufzte. «Heute ist ein Pauschaltag.»
«Pauschaltag?»
«Wir arbeiten mit englischen Reisebüros zusammen. Die Kunden buchen nicht nur die Passage und die Hotels in Venedig, sondern im Preis inbegriffen ist auch ein Programm an Ort und Stelle.»
«Was für ein Programm?»
«Ein Besuch im Fenice», erläuterte Zorzi, «eine Gondelfahrt mit Gesang, ein Gottesdienst in San Marco und» – Zorzi fuhr in einem Tonfall fort, als würde er aus einem Prospekt zitieren – « ein Besuch in einem typisch venezianischen Spielcasino, in dem sich die Atmosphäre des 18. Jahrhunderts noch unverfälscht erhalten hat » . Dann trat er mit einer knappen Verneigung zur Seite, um einem Herrn in kariertem Gehrock und mit einem bunten Hütchen auf dem Kopf Platz zu machen.
Tron musste unwillkürlich lachen. «Also deshalb machst du jetzt auf Settecento .»
«Die Herren von Cook waren begeistert. Wir sind jetzt immer ausgebucht. Nachmittags war ja sonst nie viel los bei uns.»
«Wie viele Pauschaltage habt ihr?»
«Zwei in der Woche, während des Karnevals fünf.»
«Und die üblichen Gäste? Die kaiserlichen Offiziere?
Kommen die noch?»
«Die kommen viel später. Dann haben wir wieder Kerzen, und die Croupiers tragen einen Frack.» Zorzi sah Tron scharf an. «Bist du wegen eines Offiziers hier?»
«Kennst du einen gewissen Königsegg?», antwortete Tron mit einer Gegenfrage.
«Den Oberhofmeister der Kaiserin?»
Tron nickte. «Ich hatte heute ein Gespräch mit ihm. Er macht sich Sorgen wegen seiner Schulden und hatte Pech bei einem Geschäft, auf das er sich eingelassen hat.»
Zorzi schwieg einen Moment. Dann sagte er: «Gehen wir in mein Büro.»
Das Büro war, wie Tron ein paar Minuten später feststellte, der Modernisierungwelle im Palazzo Molin glücklich entkommen. Zorzi besaß immer noch seinen antiken Refektoriumstisch, und auch an der verblichenen Wandbespannung und der wunderbaren alten Holzdecke, an die Tron sich noch erinnerte, war nichts verändert worden.
Nachdem er Tron einen Madeira angeboten und eine silberne Schale mit Biskuits auf den Tisch gestellt hatte, kam Zorzi zur Sache: «Hat dich dieser Königsegg geschickt?»
Tron schüttelte den Kopf. «Er weiß nicht, dass wir uns kennen. Es geht um den Mann, mit dem er dieses Geschäft gemacht hatte. Er soll hier als Croupier arbeiten. Sein Name ist Alessandro Ziani.»
Zorzi hob überrascht den Kopf. «Ziani arbeitet am Wochenende für mich. Was ist mit ihm?»
Seinem Grundsatz folgend, dass es in solchen Situationen unsinnig ist, lange um den heißen Brei herumzureden, erläuterte Tron: «Er ist in seiner Wohnung ermordet worden.»
Einen Moment lang starrte Zorzi sein Gegenüber an, so als würde ein Gespenst vor ihm sitzen. «Wann?»
«Heute Nacht.»
«Wer hat ihn getötet?»
«Das wissen wir nicht.»
«War es ein Raubmord?» Zorzis Stimme klang heiser und kraftlos.
«Ich glaube nicht. Aber auch darüber haben wir keine Gewissheit. Es gibt im Moment noch nicht die geringste Spur.»
«Und was willst du von mir?» Zorzi tunkte ein Biskuit in seinen Madeira und steckte das Gebäckstück in den Mund.
Tron sah, dass seine Hand zitterte.
«Ein paar Informationen über Ziani», sagte Tron. «Was für ein Leben er geführt hat. Ob er Feinde hatte.»
Zorzi schloss einen Moment lang die Augen. Als er sie öffnete, hörte sich seine Stimme wieder normal an. «Er war ein guter Croupier. Er sprach Englisch und kam mit den Leuten von Cook zurecht.»
«Was weißt du noch über ihn?»
«Nicht viel. Dass er aus Padua kam. Und dass er angeblich im Gefängnis gesessen hat. Ohne dass ich dir sagen kann, aus welchem Grund.» Zorzi trank einen Schluck Madeira, und ein wenig Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.
«War er aus politischen Gründen inhaftiert?»
«Wir haben
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