Die Masken von San Marco
halbhohe Stiefel, dazu pelzbesetzte Wollmäntel, die Herren waren in karierte Umhänge gekleidet. Anstelle der üblichen Zylinderhüte hatten sie sportliche Tweedmützen auf dem Kopf. Über dem unscheinbaren Hintereingang des Palazzo Molin, den man leicht übersehen konnte, prangte jetzt ein großes gelbes Schild mit roten Buchstaben: CASINO MOLIN.
Tron bahnte sich mit einem gemurmelten permesso einen Weg durch die Versammlung, die ihm bereitwillig Platz machte, vermutlich, weil man ihn für einen potenziellen Taschendieb hielt. Im Vestibül, das sich im ersten Stock befand, traf er auf eine weitere englischsprechende Reisegruppe. Sie hatten sich bereits ihrer Mäntel entledigt, die Damen trugen Masken, die Herren bunte Hütchen, und alle schienen ungeduldig auf das Signal zu warten, den Ballsaal betreten zu dürfen.
Die großen Flügeltüren, die zum Ballsaal führten, wurden von zwei Dienern in Schnallenschuhen, Kniebundhosen und blonden Allongeperücken flankiert. Stimmengewirr und Musik drangen aus dem Ballsaal ins Vestibül, die Musiker spielten O mia bella Napoli. Das alles hatte einen Einschlag ins Alberne, schien aber zu den Veränderungen zu passen, die im Casino Molin vorgenommen worden waren: Das Vestibül, ehemals ein kerzenbeleuchteter Raum von diskreter Eleganz, war vor kurzem renoviert worden. An die Wände hatte man Gemälde gehängt, die in bunten Farben den Markusplatz, den Ponte Rialto und eine Gondel vor der Salute – bei Mondschein! – zeigten. Der Terrazzofußboden war neu, ebenso wie die auf Hochglanz polierten Flügeltüren des Ballsaals. Im Schein der modernen Petroleumlampen, die an den Wänden befestigt waren, wirkte alles billig und zugleich hochgradig entflammbar.
Tron zog seinen Gehpelz aus und trat an die Garderobe – ein heller Holztresen, hinter dem Dutzende von Mänteln an nummerierten Haken hingen. Die Garderobiere, eine maskierte junge Frau, trug ein Kostüm im Stil des Settecento.
Sie musterte Tron abschätzig, nachdem sie einen Blick auf seinen abgewetzten Gehpelz geworfen hatte. « Do you belong to the Cook-Party, Sir? »
Ah, wie bitte? Tron hatte keine Ahnung, was diese Cook-Party sein sollte. Er schüttelte den Kopf.
« Do you have a reservation, Sir? » Das Lächeln der Garderobiere war ausgesprochen frostig.
Tron räusperte sich. «Ich bin Commissario Tron von der venezianischen Polizei.» Und setzte hinzu: «Ich habe eine Verabredung mit Conte Zorzi.»
Einen Augenblick lang sah die Garderobiere Tron an wie eine unbekannte Lebensform. Dann schien sie ihm zu glauben und sagte, nun ihrerseits leicht verwirrt, aber dafür zu Trons Überraschung in einwandfreiem veneziano: «Möchten Sie Ihre Garderobe abgeben, Commissario?»
Eine völlig sinnlose Frage, denn Tron hatte seinen Mantel bereits auf den Tresen gelegt. Schließlich empfing er einen nummerierten rosa Zettel und bahnte sich mit vielen permessi durch die Damen und Herren der Reisegruppe den Weg in den Ballsaal.
Auch an der sala war der Fortschritt nicht spurlos vorü bergegangen. Der Fußboden war abgeschliffen und poliert worden, das alte Mobiliar war durch Möbel im Stil des Second Empire ersetzt worden. Die auffälligste Veränderung war jedoch die Beleuchtung. Tron stellte mit einer gewissen Enttäuschung fest, dass die zahlreichen, mit Kerzen ausgestatteten Kandelaber, die ein weiches, flirrendes Licht verbreitet hatten, modernen Petroleumlampen gewichen waren.
Ebenso wie die Türsteher trugen auch die Croupiers an den Roulettetischen keine Fräcke mehr, sondern Schnallenschuhe, Kniebundhosen und Perücken. Die meisten Damen waren maskiert, einige trugen Reifröcke und Schönheitspflästerchen. Viele der Herren hatten sich, zusätzlich zu den Papphütchen, die sie auf dem Kopf trugen, bunte Papierschlangen um den Hals gewunden. Obwohl es im Ballsaal brechend voll war, sah Tron weder Herren im schwarzen Gesellschaftsanzug noch kaiserliche Offiziere. Bei seinem letzten Besuch hatte eine Atmosphäre dekadenter Illegalität im Casino Molin geherrscht. Jetzt dominierte – obwohl die Einsätze an den Spieltischen zum Teil erstaunlich hoch waren – ein Geist mittelständischer Biederkeit den Ballsaal.
Nachdem Tron die sala vergeblich nach Zorzi durchsucht hatte, entdeckte er ihn schließlich in einem der kleineren Salons, in denen Baccarat gespielt wurde. Zorzi stand neben einem der Spieltische, und Tron bemerkte, dass er immer noch so schlank aussah wie früher. Das Monokel, das er jetzt trug,
Weitere Kostenlose Bücher