Die Matlock-Affäre
Sie bedroht hat? Weil man die anderen jungen Leute bedroht hat?«
Das Mädchen nickte, ihr Atem ging keuchend. Matlock fuhr fort: »Sie womit bedroht hat? Daß man Sie anzeigt? ... Daß man verrät, daß Sie süchtig sind? Das ist es nicht wert. Nicht mehr heute ... «
»Oh, was verstehen Sie denn!« Das Mädchen sprach jetzt mit tränenerfüllter Stimme. »Die können einen ruinieren. Das ganze Leben ruinieren. Die Familie und die Schule, irgendwann später vielleicht. Vielleicht ... irgendein Gefängnis. Irgendwo! Als Süchtiger oder als Pusher ... Ein Junge, von dem einer weiß, daß er Ärger hat, und die können ihn freikriegen ... Irgendein Mädchen im dritten Monat, das einen Arzt braucht ... Und die können einen beschaffen. Still und leise.«
»Aber das brauchen Sie doch nicht! Wo sind Sie denn gewesen? Es gibt doch Agenturen, Beratungsstellen!«
»Du lieber Gott, Mister! Jetzt sagen Sie mir bloß, wo Sie die letzten fünf Jahre verschlafen haben? ... Die Drogengerichte, die Ärzte, die Richter! Alle haben die in der Tasche! ... Da können Sie gar nichts dagegen unternehmen. Und ich auch nicht. Also lassen Sie mich in Ruhe, lassen Sie uns in Ruhe! Da hängen zu viele dran!«
»Und Sie werden einfach weiterhin tun, was die verlangen! Verängstigte, verzogene kleine Dreckskerle, die einfach weiterjammern! Die Angst haben, sich die Hände zu waschen oder den Mund oder die Arme!« Er zog an ihrem linken Ellbogen und riß unsanft daran.
Das Mädchen blickte zu ihm auf, halb in Angst, halb voll Verachtung.
»Da haben Sie recht«, sagte sie mit seltsam ruhiger Stimme. »Ich glaube nicht, daß Sie das verstehen würden. Sie wissen nicht, worum es hier geht ... Wir sind anders als Sie. Meine Freunde sind alles, was ich besitze. Alles, was irgendeiner von uns besitzt. Wir helfen einander ... Ich bin nicht daran interessiert, die Heldin zu spielen. Mich interessieren nur meine Freunde. Ich habe keinen Aufkleber mit der amerikanischen Flagge an der Windschutzscheibe kleben, und ich mag auch John Wayne nicht. Ich finde, daß er ein großer Scheißer ist. Das seid ihr alle. Alle Scheißer.«
Matlock ließ den Arm des Mädchens los. »Wie lange glauben Sie wohl, daß Sie das durchhalten?«
»Oh, ich bin gut dran. In einem Monat hab' ich das Diplom, für das meine Eltern bezahlt haben, und ich bin hier raus.
Später versuchen die nur ganz selten Kontakt mit einem aufzunehmen. Die sagen zwar, daß sie es tun werden, aber sie tun es selten ... Man erwartet von einem bloß, daß man mit der Möglichkeit lebt.«
Er begriff, was ihr stummes Zeugnis andeuten sollte, und wandte sich ab. »Es tut mir leid. Sehr, sehr leid.«
»Das braucht es nicht. Ich bin ja gut dran. Zwei Wochen nachdem ich dieses Stück bedruckte Kacke geholt habe, auf das meine Eltern so scharf sind, sitze ich im Flugzeug. Ich werde dieses gottverdammte Land verlassen. Und nie wieder zurückkehren!«
25
Er hatte nicht schlafen können und auch nicht damit gerechnet. Er hatte das Mädchen weggeschickt und ihr Geld gegeben, weil er ihr nichts anderes geben konnte, weder Hoffnung noch Mut. Was er vorschlug, wurde von ihr zurückgewiesen, weil es das Risiko von Gefahr und Pein für unzählige Kinder mit sich trug, die einander verpflichtet waren. Fordern konnte er nichts; denn da war kein Vertrauen, aber auch keine Belohnung, die der Last gleichkam, die sie trugen. Am Ende war es ein Kampf, den die Kinder alleine austragen mußten. Sie wollten keine Hilfe.
Er erinnerte sich des Rates von Bagdhivi: Sehet euch die Kinder an - sehet und erkennet. Sie werden groß und stark sein und den Tiger jagen mit größerer Schlauheit und stärkeren Sehnen als ihr. Sie werden die Herden besser bewahren als ihr. Ihr seid alt und schwach. Sehet die Kinder. Hütet euch vor den Kindern.
Jagten die Kinder den Tiger tatsächlich besser? Und wenn sie das taten, wessen Herden würden sie hüten? Und wer war der Tiger? War es dieses >gottverdammte Land
War es so weit gekommen?
Die Fragen brannten in seinem Bewußtsein. Wie viele Jeannies gab es? Wie weit war Nimrods Netz gespannt?
Er mußte es herausfinden.
Das Mädchen hatte eingeräumt, daß Carmount nur eine Anlaufstelle war, es gab andere, aber sie wußte nicht, wo diese Anlaufstellen waren. Man hatte Freunde von ihr nach New Haven geschickt, andere nach Boston und andere nach Norden in einen Vorort von Hanover.
Yale. Harvard. Dartmouth.
Was einem am meisten angst machen konnte war, daß Nimrod die Zukunft von
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