Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
breitbeinig auf ihn drauf. »Deine wissenschaftliche Herangehensweise gefällt mir.« Sie ließ ihn in sich hineingleiten. »Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dir noch einmal einen Vertrauensvorschuss zu gewähren.«
»Du – ah! – glaubst mir also?«
»Nein. Das heißt, ich glaube nicht, dass es viel zur Sache tut, ob du die Wahrheit sagst oder nicht, solange du mit mir ehrlich bist.«
»Ich schwöre, ich werde dich nie wieder anlügen!«
»Das wollte ich hören.«
Danach fiel kein einziges Wort mehr.
Am nächsten Morgen standen stapelweise Kisten vor der Schwelle der alten Fabrik – Graces gesammelte Bestellungen.
»Was sollen wir mit dem ganzen Kram?«, fragte John.
Grace verzog keine Miene. »Henry wird damit unseren Schaltplan nachbauen.«
»Werde ich das?«, erwiderte Henry.
»Klar doch.«
»Aber ich hab keinen blassen Schimmer von Elektronik.«
»Von Flipperautomaten hattest du auch keinen blassen Schimmer«, entgegnete Grace.
»Womit du auch wieder Recht hast.«
Mittlerweile schafften sie ein paar Hundert Fäden in der Stunde. Manchmal ergab der immer weiter ausufernde Schaltkreis eine Art Sinn, aber wenn John zu lange hinschaute, löste sich die scheinbare Struktur wieder in Luft auf. Sie kam ihm zugleich vertraut und zutiefst fremd vor – ein bisschen wie Thermodynamik.
Als er langsam wirklich aufs Klo musste, blickte John auf. Erst jetzt merkte er, dass die Sonne bereits untergegangen war. »Wo ist Henry?«
»In der Uni«, antwortete Grace.
»Eigentlich war ich heute dran.«
»Du warst grad so gut dabei.«
John reckte sich und ging auf die Toilette.
»Ich glaube, die Hälfte haben wir jetzt!«, rief Grace ihm nach.
»Die Hälfte des Schaltplans! Wir müssen das Ding immer noch bauen!«
»Dann schau dir mal an, was Henry hier gemacht hat!«
Als John aus der Toilette kam, starrte er auf das Gewirr von Drähten auf der Werkbank. Ein Oszilloskop blinkte träge. Drähte verbanden unzählige Teile. Er griff sich das große Notizbuch, das aufgeschlagen daneben lag, und blätterte es durch; Tabellen und Gleichungen füllten die ersten fünfzig Seiten. »Das hat er alles heute gemacht?«
»Wir waren eben alle gut dabei.«
John nickte ernst. »Du warst heute kein einziges Mal im Büro. Henry und ich haben es kaum in die Uni geschafft. Verschwenden wir hier am Ende unsere Zeit?«
»Hör mal. Wir – nicht nur du, sondern wir! – stecken in Schwierigkeiten. In ernsten Schwierigkeiten. Und die Quelle dieser Schwierigkeiten ist das Gerät. Wir müssen es verstehen, wir müssen es erst analysieren und dann nachbauen. Danach steht uns das ganze Universum offen. Und nicht nur eines.«
»Ich hoffe sehr, dass du Recht hast.«
»Schon vergessen? Ich hab immer Recht.« Grace blickte auf ihre Uhr. »Muss mich beeilen. Ich will noch in der Fabrik vorbeischauen.« Nachdem sie ihn flüchtig umarmt hatte, hielt sie John mit beiden Armen von sich weg und blickte ihn durchtrieben an. »Du hast dich also gestern Abend mit Casey getroffen … Und das Treffen hat bis heute Morgen gedauert, stimmt’s?«
»Woher weißt du das schon wieder?«
»Wenn man nicht im Wohnheim auftaucht, wissen die anderen Bescheid. Du weißt schon wer, die Mädels!«
»Aber du wohnst nicht mal mehr da!«
»Jede weiß von jeder, wo sie die Nacht verbringt. Das ist eines der ungeschriebenen Gesetze des Mädchenwohnheims.
Sonst hätte man ja beim Frühstück kein Gesprächsthema. Also dann, bis morgen!«
John schüttelte den Kopf, holte sich ein Sandwich und eine Dose Cola aus dem Kühlschrank und machte es sich mit Henrys Notizen bequem. Immer wieder musste er auf die Elektronik-Lehrbücher zurückgreifen. Wenigstens war ihm Henrys kryptische Handschrift von ihrer gemeinsamen Zeit im Uni-Labor her vertraut. Henry hatte mit dem losen Fadenstück angefangen, mit dem Laborbericht und sämtlichen anderen Untersuchungsergebnissen. Nachdem er so viele Daten über die Eigenschaften des Fadens gesammelt hatte wie möglich, hatte er probiert, dessen physikalische Parameter nachzubilden. Der Drahthaufen auf der Werkbank war sein erster Versuch.
Ihren Schätzungen zufolge enthielt das Gerät ungefähr hunderttausend Fäden. Henrys Prototyp würde in dieser Form circa zehn Millionen Dollar an Teilen verschlingen.
»Das wäre unser Bankrott«, sagte John in die Stille hinein. Es musste doch eine weniger aufwendige Möglichkeit geben, die Fäden mit Komponenten aus diesem Universum nachzubilden. Konnten sie nicht einfach einen
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