Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
haben!
In der Umkleidekabine der Fabrik konnte Prime endlich den durchnässten Anzug ausziehen. Die Krawatte war ruiniert, doch der Anzug würde nach einer chemischen Reinigung
sicher wieder passabel aussehen. Im Grunde fühlte er sich in dem einteiligen Arbeitsoverall ohnehin wohler.
Als er gerade den Reißverschluss zuzog, riss jemand die Tür auf. »Hey, da ist ja unser große Basketballstar von der Uni! Halt mal! Der hat doch eine von den Cheerleadern geschwängert, stimmt’s? Ein echter Star eben …«
Carson und seine Meute von Highschool-Kumpels. Obwohl ihm klar war, um wen es sich handelte, drehte Prime sich schweigend zu der Bande um und musterte sie abschätzig. Er musste cool bleiben, doch sein Herz klopfte wie rasend, und der Schweiß rann ihm die Seiten hinunter.
»Wie geht’s denn den beiden kleinen Pom-Poms, Rayburn? Wackeln die immer noch so schön?«
Sie waren zu sechst, und Prime war allein. Da er fünf Minuten zu spät dran war, befand sich niemand sonst in der Umkleidekabine. Er durfte sich nicht provozieren lassen.
»Willst du gar nicht mit uns reden? Wie schade!«
Carson wandte sich zum Gehen, als wäre die Sache damit erledigt – was Primes Wut erst recht entzündete. »Hey, Carson«, sagte er. »Du hast letzte Nacht was vor meiner Wohnung vergessen.«
Carsons Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an.
»Eine Katze«, erklärte Prime beiläufig. »Dachte mir gleich, dass sie dir gehört, denn an andere Muschis kommst du ja nicht ran.«
Carsons Freunde kicherten, bis sie dessen wütendes Starren bemerkten.
»Sehr witzig, Rayburn«, sagte Carson. »Mach nur so weiter.« Mit dem letzten Wort drehte er sich um und verließ betont gelassen die Umkleidekabine.
Prime schüttelte sich, als wäre ein kalter Luftzug durch den Raum gefahren. Zwar hatte er diese Arschgeige in die Schranken verwiesen, aber er fühlte sich nicht besser, spürte keinerlei Befriedigung.
Achselzuckend zog Prime die Sicherheitsschuhe an und ging hinaus in die Fabrikhalle.
Als Prime nach Mitternacht nach Hause kam, saß Casey am Tisch, mit Abby auf den Knien. Sie waren beide noch wach, obwohl es schon so spät war.
Casey gab ein bemitleidenswertes Bild ab: ihre Haare waren völlig durcheinander, sie trug ein ausgewaschenes T-Shirt mit dem Wort »Cheerleader« auf der Brust, und unter ihren Augen hatten sich große, dunkle Ringe breitgemacht.
Trotz allem – es raubte Prime immer noch den Atem, sie zu sehen. Und er wusste nicht einmal genau, warum. Natürlich empfand er Leidenschaft, Respekt, Sehnsucht, aber da war noch etwas anderes, Undefinierbares.
»Was ist?«, fragte Casey. »Stimmt irgendwas nicht?«
»Ich … ich liebe dich.« Dabei hatte Prime noch nie verstanden, was das überhaupt bedeuten sollte.
Casey lächelte. Der Anblick ließ Prime im Türrahmen stehen bleiben.
»Ich liebe dich auch, John«, sagte sie. »Auch wenn ich eine Last für dich bin.«
»Nein, das war nicht so gemeint … Ich … Ich hab mich geirrt.«
»Na, wenigstens siehst du es jetzt ein.«
Prime beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Lippen. Diese Gelegenheit ließ sich Abby nicht entgehen. Sofort hatte sie seinen Kragen mit ihren kleinen, rundlichen Händen gepackt.
»Wie war deine Besprechung in Toledo?«, wollte Casey wissen.
»Schlechter hätte es nicht laufen können.«
»Das tut mir so leid. Wenn ich dir gestern nicht Abby aufgehalst hätte …«
»Das hätte keinen Unterschied gemacht. Die hatten schon längst andere Pläne. Aber wir brauchen diese Leute auch gar nicht.«
»Trotzdem, ich …«
An der Tür kratzte etwas. Es klang so, als führe jemand mit einem spitzen Gegenstand über das Holz.
»Carson«, sagte Prime sofort.
»Carson?« Casey schaute ihn entgeistert an.
Mit zwei großen Schritten war Prime an der Tür und riss sie auf.
Da stand er: Ted Carson. In seiner Hand blitzte etwas Metallisches. »Hör mal, John«, sagte er, aber Prime hörte nicht hin. Ohne genau zu erkennen, um was es sich handelte – ein Messer, eine Pistole, irgendeine Waffe -, griff er nach dem Gegenstand in Carsons Hand. Carson fuhr zurück, doch Prime hatte ihn schon am Gelenk erwischt. Mit aller Kraft versuchte Carson, sich aus dem Griff zu befreien, bis Prime die große, fleischige Hand aus den Fingern rutschte. Darauf war Carson nicht gefasst. Er stolperte einen Schritt zurück Richtung Treppe und verlor das Gleichgewicht. Verzweifelt versuchte er, irgendeinen Halt zu fassen, aber da war nichts, und Prime
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