Die Maurin
Hayat. »Wenn sich hier eine von uns in den Stall schleicht, dann ja wohl ich!«
»Hayat, ich bitte dich. Miguel hat gesagt, Jaimes Pferd sei ein Teufelsbraten, und du zuckst schon vor Vaters frommen Stuten zurück!«
»Aber du darfst dich nicht unseretwegen in Gefahr begeben!«
»Und ich will nicht, dass du von niederdonnernden Pferdehufen erschlagen wirst«, beendete Zahra die Diskussion. »Mach dir lieber Gedanken, wie wir an einen ärmlichen Hidschab kommen!«
»Bei der Amme habe ich einen gesehen. Auf der Truhe im Eingangsbereich ihres Hauses liegt ein alter, vergessener Hidschab, der auch in seinen besten Zeiten schon nicht viel hergemacht hat, aber ich finde trotzdem, dass nicht du, sondern ich …«
»Nein, Hayat, nein!« Zahra schüttelte entschieden den Kopf. Der wahre Grund aber, warum sie das Risiko allein eingehen wollte, war, dass Hayat sehr viel zu verlieren hatte – sie jedoch nichts mehr.
Gleich beim ersten Stillen entwendete Hayat der Amme den alten Hidschab und deponierte ihn bei Miguel und Gonzalo, um ihn dort nach dem Eintreffen der Gesandten wieder abzuholen. Den ganzen Vormittag verbrachten Zahra und Hayat in größter Anspannung. Es hing so viel davon ab, dass alles glattging! Tatsächlich meldeten die Fanfaren der Torwächter am frühen Nachmittag die Ankunft der Gesandten der katholischen Könige. Zahra und Hayat sahen sich an: Jetzt würde sich alles entscheiden. Hayat erhob sich und schickte sich an, Mahdi aufzunehmen.
»Wollt Ihr etwa jetzt schon zu der Amme gehen?«, murrte Tamu. Hayat zuckte zurück. Seit der Beerdigung ihrer Mutter saß die alte Dienerin wie zur Salzsäule erstarrt auf einem Kissen in der dunkelsten Ecke des Zimmers und ließ sich noch nicht einmal für die Mahlzeiten von dort weglocken. Was um sie herum vorging, schien sie nicht mehr wahrzunehmen. Es war, als sei mit Leonor auch ein Teil von ihr gestorben. Warum musste sie ausgerechnet jetzt aus ihrer Lethargie erwachen?
»Es tut dem Kleinen nicht gut, wenn er aus dem Schlaf gerissen wird«, schimpfte Tamu weiter. »Und der Amme kann es schließlich gleich sein, wann sie ihn stillt.«
»Aber …« Hilfesuchend sah Hayat zu Zahra.
Diese legte der alten Dienerin begütigend die Hand auf den Arm. »Wenn wir Mahdi jetzt schon zu der Amme bringen, wird er auch heute Abend früher essen wollen und dann seine letzte Mahlzeit sicher vor Mitternacht verlangen. So könnten Hayat und ich mal wieder etwas früher schlafen gehen!«
Tamu senkte den Blick und sank zurück in ihre Teilnahmslosigkeit. Zahra atmete auf. Ihr war klar, dass sich Tamu unter normalen Umständen nicht so leicht von ihr an der Nase hätte herumführen lassen. Rasch zog sie sich Niqab und Hidschab über und wollte eben mit Hayat ihr Häuschen verlassen, als Zainab aufsprang und ihnen nachlief. »Ich langweile mich hier zu Tode«, maulte sie. »Immer geht nur ihr zu der Amme. Heute will ich mitkommen!«
Allmächtiger, auch das noch!, dachte Zahra und zwang sich, eine gleichmütige Miene zu bewahren. »Aber Zainab, wir können Tamu doch nicht allein lassen! Wenn du magst, kannst du ab morgen mit Hayat mitgehen. Jetzt habe ich mir ohnehin schon den Hidschab angelegt!«
Störrisch schnappte sich Zainab ihren Umhang. »Ich bin sofort fertig, und so kannst wenigstens du dich ausruhen. Du hast doch eben selbst gesagt, wie müde du bist. Ich dagegen bin vor lauter Nichtstun schon ganz kribbelig!«
Zahra wusste, wie hartnäckig Zainab sein konnte, und ihr fiel kein schlagendes Argument ein, mit dem sie diese von ihrem Wunsch abhalten könnte. Sie straffte sich. »Zainab, du setzt dich jetzt sofort wieder zu Tamu und widersprichst mir nicht länger!«, fuhr sie ihre Schwester an, setzte dabei eine energische Große-Schwester-Miene auf und stieß Hayat, die noch immer wie festgewachsen auf dem gleichen Platz stand, unsanft aus dem Haus.
»Aber ich will auch mal dran sein!«, schimpfte Zainab ihnen hinterher.
»Los, nichts wie weg hier, ehe sie uns doch noch nachkommt!«, zischte Zahra Hayat an, die daraufhin trotz des Säuglings auf ihrem Arm in Laufschritt verfiel. Zwei Passanten schüttelten verwundert den Kopf; Damen der höheren Klassen pflegten nicht wie gescholtene Dienerinnen durch die Straßen zu jagen. Zahra war in diesem Moment selbst das gleich. Hauptsache, sie schüttelten Zainab ab.
Miguel und Gonzalo erwarteten sie schon und waren nicht weniger nervös. Miguel reichte Zahra den alten Hidschab, und Gonzalo, der seit dem Vortag
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