Die Maurin
doch!« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, strich Zahra den Ärmel ihrer Tunika glatt und rückte ihren Hidschab zurecht. »Ich weiß, wo Euer Bruder ist – und dass er Eure Hilfe braucht. Und wenn Euch etwas daran liegt, ihn wiederzusehen, behandelt Ihr mich jetzt mit mehr Respekt!«
Jaime verzog das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen. »Eine maurische Bettlerin, die Respekt verlangt!«
Zahra zuckte mit den Achseln und wandte sich zum Gehen. Doch wie sie erwartet hatte, hielt Jaime sie zurück. »Nun rede schon!«
Zahra blieb stehen, sagte jedoch nichts. Er ließ sie los. »Verdammt, jetzt sag mir schon, wo Gonzalo ist!«
»Zusammen mit seinem Freund Miguel in einem sicheren Versteck.«
Jaimes Augen verengten sich. »Wer schickt Euch? Ali al-Attars Spione? Wollt Ihr mich in eine Falle locken?«
Befriedigt stellte Zahra fest, dass er sie nicht mehr duzte. Wortlos reichte sie ihm Gonzalos Nachricht. Nachdem er die Botschaft gelesen hatte, strich er sich mit der freien Hand die Locken aus dem Gesicht, eine Geste, die Gonzalo in dieser Situation nicht anders ausgeführt hätte. Sie wunderte sich, wieso sie das so berührte.
»Ihr habt Gonzalo und Miguel befreit und ihre Wunden versorgt?« Jaime warf ihr einen fragenden Blick zu. Die Feindseligkeit in seiner Stimme schwand. »Wieso?«
Zahra wusste nicht, was sie erwidern sollte. Außerdem brachte sie Jaimes forschender Blick durcheinander. Sie versuchte, ihre Atmung zu beruhigen. Verdammt, fuhr sie sich an, und wenn er Gonzalo noch so ähnlich sieht – er ist nicht wie er!
Da Zahra Angst hatte, dass ihre Augen ihre Aufgewühltheit verraten könnten, wandte sie sich Jaimes Pferd zu und strich ihm über die Nüstern, was Barbakan sich nur zu gern gefallen ließ.
»Er lässt sich sonst nie von Fremden anfassen«, hörte sie Jaime voller Verwunderung sagen. »Selbst mein Stallbursche hat oft genug Schwierigkeiten, sich ihm zu nähern.«
»Er heißt Barbakan, nicht wahr?«, sagte Zahra und wagte nun doch wieder, zu ihm aufzusehen. Als sich ihre Blicke trafen, durchfuhr sie ein Zittern, und je länger sie seinem Blick standhielt, desto schwächer und angreifbarer fühlte sie sich – und leicht, seltsam leicht, so wie ein Vogel sich fühlen muss, wenn er in den höchsten Lüften schwebt.
»Wo ist Gonzalo, und wie geht es ihm? Ich habe gesehen, wie er unter seinem Pferd begraben wurde, und auch Miguel soll es übel erwischt haben.«
»Die Verletzungen der beiden verheilen gut, allerdings wird es noch einige Wochen dauern, bis Euer Bruder wieder laufen kann. Miguel haben wir nur von den Gefangenen weggeholt, weil der Sohn seines ehemaligen Herrn unter den Soldaten hier ist.«
»Eine maurische Bettlerin, die spanische Soldaten vor Galgen und Wundbrand rettet …« Erneut trat Misstrauen in Jaimes Augen. »Was verlangt Ihr dafür, mich zu meinem Bruder und Miguel zu bringen? Gold? Schmuck?«
»Ihr habt ja eine beeindruckend hohe Meinung von uns Mauren!«
»Wenn Ihr das hinter Euch hättet, was ich erlebt habe, würdet Ihr nicht anders denken. Und auch heute habe ich es wieder erlebt: Wie einem räudigen Hund einen abgenagten Knochen hat mir Euer sagenumwobener Ali al-Attar die Liste der Gefangenen hingeworfen und mir dann verkündet, dass er jetzt Wichtigeres zu tun habe, als mit mir zu reden. Als ich gesehen habe, dass Miguel und mein Bruder auf der Liste fehlen, habe ich schon das Schlimmste befürchtet.«
Zahra setzte ihm die Details von Gonzalos und Miguels Plan auseinander. Jaime nickte. »Ja, das sollte klappen.«
»Dann kann ich Eurem Bruder und Miguel also sagen, dass sie auf Euch zählen können?«
Jaime bejahte und sah sie wieder auf diese durchdringende Art an. Diesmal löste er damit jedoch nur Unbehagen in Zahra aus. Im nächsten Moment hörten sie mürrisches, arabisches Schimpfen. Zahra fuhr herum und sah die Burschen in den Stall kommen, die enttäuscht darüber waren, dass sich draußen nichts mehr tat. Schon zu oft hatten sie erlebt, wie Ali al-Attar spanische Gesandte höchstpersönlich mit Fußtritten aus seinem Palast befördert hatte, und heute wohl auf ein ähnlich unterhaltsames Schauspiel gehofft. Zahra wich zurück, aber die Burschen hatten sie schon gesehen und schienen froh zu sein, ihre Enttäuschung an jemandem auslassen zu können.
»Was hast du hier zu suchen, verdammte Bettlerin!«, fuhr der kleinere von ihnen sie an, und der größere schnappte sich eine Mistgabel und schoss auf sie zu. »Verschwinde, aber schnell!
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