Die Maurin
einzigen Kind zugesetzt hatte, und war froh, dass sie das nicht hatte miterleben müssen. Ahmed wirkte ruhig und beinahe fröhlich, was sie nicht wunderte; schließlich kannte er seine Mutter kaum und war ohnedies noch viel zu klein, um zu verstehen, was geschah. Die Tatsache, dass sein Kindermädchen ihn nicht zu den prächtig aufgeputzten Pferden gehen ließ, schien ihn weit mehr zu beschäftigen als der Abschied. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf. »Pferd!«
Zahra trug Ahmed zu Ismails pechschwarzem Araber. Begeistert gluckste der Kleine und zerrte das Pferd unsanft an der Mähne.
»Wenn du groß bist, wirst du auch so ein prächtiges Ross dein Eigen nennen und damit durch dein Reich reiten«, versprach Aischa ihrem Enkel.
»Pferd, Pferd«, brabbelte er und streckte die Ärmchen zu Ismail hoch. Aischa nahm Zahra Ahmed ab und drückte ihn an sich. Dunkler Schmerz glomm in ihren Augen auf.
»Gott beschütze dich, mein Sonnenschein«, flüsterte sie ihrem Enkel zu und setzte ihn vor Ismail in den Sattel. Ahmed krähte und jauchzte so sehr vor Freude, dass sogar die grimmigsten Wachsoldaten lächeln mussten.
»Pass gut auf meinen Augenstern auf«, sagte Aischa leise zu Zahra und strich ihr über den Arm. »Allah,
ta’ala,
halte seine schützenden Hände über euch!«
Zahra bekam einen Kloß in den Hals. Da sie wusste, wie sehr Aischa Tränen verabscheute, wischte sie sich hastig über die Augen und stieg auf ihre braune Stute, nahm die Zügel auf und folgte Ismail, nachdem sie einen letzten schwermütigen Blick auf die Stadt und ihre Menschen geworfen hatte, die sie nun für lange Zeit nicht mehr sehen würde.
Am zweiten September schwor Boabdil in einer feierlichen Zeremonie den christlichen Königen den Vasalleneid und unterzeichnete die entsprechenden Verträge. Hernach bat er Isabel, seinen Sohn vor seiner Heimkehr sehen zu dürfen. »Er wurde während meiner Gefangenschaft geboren, und ich würde ihn gern wenigstens ein Mal in den Armen halten, ehe er in Eure Obhut übergeht.«
Gonzalo, der während der Zeremonie nur wenige Schritte von Isabel entfernt stand, sah, wie sich deren Miene verschloss, und nahm an, dass sie eine Hinterlist befürchtete. Zwei endlose Monate lang hatte Isabel Gonzalo mit eintönigen Arbeiten vom Hof ferngehalten, aber als sie seinem Onkel zu Ehren ein Fest gab, um diesen in aller Öffentlichkeit für die Gefangennahme des Emirs zu würdigen, lud sie ihn mit ein und dankte auch ihm für seinen Einsatz. Hernach hatte sie ihn am Hof verbleiben lassen und ihn wie früher bei wichtigen Fragen zu Rate gezogen, aber Gonzalo wusste, dass seine Stellung am Hof auf wackligen Füßen stand. Und doch konnte er nicht anders, als jetzt vor seine Königin zu treten und sich für Boabdil einzusetzen. »Majestät«, sagte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Ich appelliere an Euch als Mutter. Ihr habt selbst vier Kinder und solltet die Not verstehen, in der sich Boabdils Herz befindet!«
Isabel sah Gonzalo an, und er befürchtete schon, sich erneut ihren Unmut zugezogen zu haben, als sie mit einem Mal lächelte und Boabdil huldvoll zunickte. »So sei es denn«, sagte sie zu ihm. An die Anwesenden gewandt, fügte sie hinzu: »Morgen, wenn der Austausch der Geiseln erfolgt, soll Boabdil von seinem Sohn Abschied nehmen dürfen.«
Gonzalo nickte ihr dankbar zu, doch Isabel sah so geflissentlich darüber hinweg, dass sie ihn mit einer Ohrfeige nicht mehr hätte verletzen können.
Ein grauer Himmel begleitete Zahra, Ahmed, Ismail und ihr Gefolge schon seit dem frühen Morgen. Als würde selbst der Allmächtige ob der Ungerechtigkeit weinen, die sich heute unter seinen Augen vollzieht, dachte Zahra, und je näher sie dem Palast der christlichen Könige kamen, desto beklommener war ihr zumute.
An den Toren empfing sie eine Eskorte und geleitete sie zu dem Exerzierplatz, auf dem bereits diejenigen versammelt waren, die gegen sie ausgelöst werden sollten. Zahras erster Blick fiel auf Boabdil. Seine Miene war dunkel und verschlossen. Dies war der bisher schwärzeste Tag seines an unglücklichen Tagen wahrlich nicht armen Lebens. Sie suchte nach ihrem Bruder, doch eine lange Reihe schwerbewaffneter Soldaten verstellte ihr die Sicht auf die Leibwächter.
Ismail brachte ihren Tross zum Stehen. Diejenigen, die in Córdoba bleiben würden, stiegen von den Pferden und übergaben die Zügel den Stallburschen; eine Fanfare und ein Ausrufer kündeten das Eintreffen des christlichen
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