Die Maurin
ihrer Tunika.
»Hunger«, jammerte er.
Zahra fiel wieder ein, warum sie nach unten gegangen war.
»Wir suchen einen Diener – oder die Küche. Könnt Ihr mir vielleicht den Weg weisen?«
Gonzalo lachte auf. »Ich werde Euch etwas bringen lassen! Wenn Ihr mit Eurem maurischen Gewand und dem Schleier in der Küche auftaucht, würdet Ihr eher im Kerker landen, als dass Ihr für Euren Schützling etwas zu essen bekämt.«
»Aber ich bin doch keine Gefangene hier, oder?« Zahra sah ihn erschrocken an.
»Nein, natürlich nicht«, beruhigte Gonzalo sie, »aber man ist in der Küche nicht an maurische Besucher gewöhnt und würde wohl eher einen Überfall als einen maurischen Kindermagen hinter Eurem Eindringen vermuten. Doch keine Sorge; mit der Zeit werden sie sich an Euch gewöhnen!«
»Also gehe ich besser wieder hoch?«
Gonzalo nickte, rührte sich aber ebenso wenig von der Stelle wie Zahra. Sie sahen sich an, und Zahra spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
»Hunger«, rief Ahmed weinerlich. »Hunger!«
Gonzalo nickte ihm zu und machte sich nun doch auf den Weg. Zahra sah ihm nach, bis er um die erste Ecke verschwunden war. Sie fragte sich, warum das Schicksal sie immer wieder zusammenführte, wenn es doch offensichtlich keine weitere Verbindung zwischen ihnen beabsichtigte, eine Frage, die noch lange in ihrem Kopf nachhallte.
2.
Córdoba
12 . Oktober 1484
M issmutig ließ Zahra ihren Blick über die Gärten vor ihrem Zimmer schweifen, während Ahmed hinter ihr auf dem Fußboden mit einem Tonpferdchen spielte, das sie aus Granada mitgebracht hatten. Wenn ihnen nicht mehrmals täglich eine Palastdienerin Essen bringen würde, hätte sie auf den Gedanken kommen können, dass man ihre und Ahmeds Anwesenheit vergessen hatte. Eintönigkeit und Einsamkeit bestimmten ihre Tage, und so manches Mal wusste sie kaum noch, wie sie Ahmeds wachsenden Tatendrang bremsen sollte. Natürlich war da der Park, den sie auch häufig aufsuchten, zumal dieser Herbst die Menschen mit sonnigem, mildem Wetter verwöhnte, aber darüber hinaus gab es wenig, was sie mit ihm unternehmen konnte. Außerdem fehlte ihr jemand, mit dem sie über ihre Sorgen und Ängste reden konnte oder auch einfach darüber, welch große Fortschritte Ahmed täglich machte, und die Freude an ihm – die einzige, die sie derzeit hatte – hätte teilen können. Wenn ihnen im Park überhaupt einmal jemand begegnete, machte er einen so großen Bogen um sie, dass man hätte meinen können, sie litten an einer ansteckenden Krankheit. Wie sie so jemals an Informationen für Aischa kommen sollte, war ihr schleierhaft, aber sie hätte ohnehin keine Möglichkeit gehabt, sie nach Granada weiterzuleiten – alle ihre Briefe wurden von Isabels Schreibern gelesen und zensiert. Sie sehnte sich nach Gonzalo, mit dem sie sich hätte austauschen können, aber seit ihrer Ankunft hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Meidet auch er uns?, fragte sie sich. Oder hat die Königin ihm den Kontakt zu uns verboten? Weilte er möglicherweise gar nicht mehr am Hof?
An diesem Abend brachte die Dienerin außer ihrem Essen auch eine Nachricht der Könige. Man erwarte sie und den maurischen Thronprinzen am nächsten Abend zu einem Festessen. Erschrocken legte Zahra die Einladung neben ihrem Teller ab. Ein Essen mit den Königen … Sie hatte keine Ahnung, wie man sich bei einem christlichen Festessen benahm, gewiss galten gänzlich andere Regeln als bei ihnen. Außerdem stellte sich für sie das Problem, dass sie ihren Schleier nicht ablegen durfte, wenn Männer zugegen waren, die nicht zu ihrer Familie gehörten. Wie aber sollte sie mit dem Schleier vor dem Gesicht essen? Sie blickte zu Ahmed. »Ja, ja, mit alldem hast du keine Probleme«, seufzte sie und wuschelte ihm liebevoll durch die Locken.
Für Zahras Sorgen hatte Ahmed allerdings keinen Sinn. Er tönte nur: »Ahmed Hunger!« und grabschte auch schon nach dem Löffel. Hastig nahm Zahra ihn ihm wieder ab und begann ihn zu füttern, war mit ihren Gedanken jedoch so weit von ihrem Tun entfernt, dass von dem Fleisch und dem Reis mehr auf Ahmeds Tunika als in seinem Mund landete.
Nach dem Essen ging Zahra noch einmal mit ihm in den Park. Doch die Hoffnung, Gonzalo dort anzutreffen, erfüllte sich nicht. Sie fand sich damit ab, das Festessen am nächsten Tag ohne seinen hilfreichen Rat überstehen zu müssen.
Eine Dienerin führte sie in den großen Festsaal. Als Zahra sah, dass schon mehr als ein Dutzend Gäste an der
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