Die Maurin
vorgelagerten Mühlen, Scheunen und Weiler waren vollkommen zerstört, und je näher sie dem Ort kamen, desto eindringlicher wehte ihnen der bittere Geruch von erkaltender Asche entgegen. Die Männer trieben die Pferde noch mehr an. Keiner von ihnen fürchtete um das eigene Heil, ihre einzige Furcht war, zu spät gekommen zu sein.
Vor dem Dorfeingang stießen sie auf die ersten Toten, Männer, die sie seit vielen Jahren kannten, mit denen sie kleinere Kriegszüge gewonnen und Feste gefeiert hatten. Zwei waren von Lanzen durchbohrt, den anderen hatte man die Kehle durchgeschnitten. Sie schienen im Schlaf überrascht worden zu sein. Die wenigsten von ihnen trugen ordentliche Kleider, und man hatte nicht den Eindruck, dass ihnen Zeit geblieben wäre, sich zu wehren, denn nirgends war ein arabischer Krummsäbel oder einer ihrer Langdolche zu sehen, kein kastilischer Toter lag zwischen ihnen. Beim Weiterreiten sahen sie, dass die meisten Lehmhäuser bis auf die Grundfesten niedergebrannt, die wenigen Steinhäuser des Dorfes geplündert und von blinder Zerstörungswut gezeichnet waren. Vor vielen Häusern lagen halbverkohlte Leichen, auch Frauen und Kinder. Die Stille, die sie umgab, war gespenstisch …
Baschir galoppierte zu seinem Elternhaus, von dem nur noch ein verkohltes schwelendes Holzgerippe übrig geblieben war. Davor lagen die Leichen seiner Familie. Es war offensichtlich, dass seine Mutter und seine kleinen Schwestern vor ihrem Tod geschändet worden waren. Baschir glitt vom Pferd und sackte vor ihnen auf die Knie. Wenn über seine Wangen keine Tränen gelaufen wären, hätte man auch ihn für tot halten können; keine Regung war zu sehen, kein Laut entrang sich seiner Brust.
»Deborah … wir müssen Deborah finden«, krächzte Raschid und hieb seinem Pferd die Zügel auf die Kruppe. Zahra ritt ihm nach. Das Haus von Deborahs Eltern lag nur zwei Straßen weiter. Auf den ersten Blick sahen sie, dass die Kastilier auch hier gewütet hatten. Es gehörte zu den wenigen Steinhäusern des Dorfes, aber das gesamte Mobiliar war vor dem Haus verbrannt, sämtliche Türen und Fenster waren herausgeschlagen worden.
»O Gott«, stöhnte Zahra und wagte sich nicht vorzustellen, was sie im Inneren des Hauses erwartete. Genau wie ihr Bruder glitt auch sie vom Pferd.
»Warte hier!«, befahl Raschid, drückte ihr seine Zügel in die Hand, zog aus dem Ärmel seiner Djellaba eine Klinge von bläulichem Stahl und schlich zum Haus. Zahra sah ihm nach, hielt das Warten aber schon bald nicht mehr aus und schlich ihm hinterher. Kaum hatte sie das erste Zimmer betreten, drückte ihr jemand von hinten eine Klinge an den Hals. Sie schrie auf. Sofort ließ ihr Angreifer den Dolch sinken.
»Verdammt, Zahra, ich dachte schon, du wärst einer dieser …« Raschid beendete den Satz nicht, sondern zerrte Zahra hinter seinen Rücken und ließ sie nicht wieder los, ehe er nicht in jeden Raum gespäht und sich vergewissert hatte, dass kein Kastilier mehr im Haus verborgen war. Aber auch Deborah und ihre Familie fanden sie nicht, nur Moses, einen alten treuen Diener der Familie. Die Kastilier hatten ihm die Kehle durchgeschnitten.
»Vielleicht konnten sich die anderen in den Wald retten«, murmelte Zahra.
»Oder die Kastilier haben sie verschleppt, um sie auf dem Sklavenmarkt an den Höchstbietenden zu verhökern«, keuchte Raschid und schrie auf einmal aus voller Kehle: »Deborah! Deborah, wo bist du? Deborah!« und drehte sich dabei wie ein Berserker im Kreis.
Zahra sprang ihm in die Arme. »Ruhig, Raschid, beruhige dich, wir werden sie finden, und wenn die Christen sie auf einen Sklavenmarkt geschafft haben, holen wir sie von dort zurück!«
»Ja, ja sicher. Wir finden sie, ich weiß es, es muss so sein, es kann gar nicht anders sein …« Raschid wischte sich über das Gesicht. Die Panik und Verlorenheit in seinem Blick bestürzten Zahra beinahe noch mehr als sein vorheriger Ausbruch.
»Wir müssen sie suchen«, keuchte Raschid. »Geh du rechts ums Haus herum; ich nehme mir die linke Seite vor. Vielleicht haben sie sich in die Ställe flüchten können!«
Die meisten Menschen im Ort hatten vom Seidenanbau und der Seidenverarbeitung gelebt und sich in ihren Gemüsegärten ein wenig Nutzvieh gehalten. Als Zahra hinter das Haus trat, sah sie, dass auch die Ställe niedergebrannt waren. Überall lag totes, verstümmeltes Federvieh; zwei Lämmern und etlichen Ziegen waren die Köpfe abgehackt worden. Plötzlich entdeckte Zahra
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