Die Maurin
wir keine Pferde, sondern Mulis.« Er zwinkerte Zahra zu. »So laufen wir zumindest nicht Gefahr, für Pferdediebe gehalten zu werden.«
»Aber mein Gebieter, Ihr setzt Euer Leben auf Spiel!« Der Hauptmann raufte sich die Haare. »Wände haben Ohren! Stellt Euch vor, was passiert, wenn Euer Vater erfährt, dass Ihr ohne Schutz gen Granada unterwegs seid, oder wenn Euch jemand trotz Eurer Verkleidung erkennt! Und wer sagt Euch überhaupt, dass Euch diese Zahra und der Haremswächter Eurer Mutter nicht in eine Falle locken und man Euch schon an der ersten Weggabelung auflauert und erschlägt?«
»Ich weiß es einfach«, erwiderte Boabdil schlicht.
»Aber unter dem Schutz meiner Truppe …«
»Wenn Eure Soldaten uns begleiten, wird es auf dem Weg unweigerlich zu Kämpfen kommen, und genau dem Sterben will ich ein Ende bereiten«, fiel Boabdil ihm ins Wort und machte hernach eine so entschiedene, jede weitere Diskussion untersagende Handbewegung, dass dem Hauptmann der Mund offen stehenblieb. Auch Zahra wunderte sich über den plötzlichen Wandel vom melancholischen Bücherwurm zum selbstbewussten Herrschersohn. Sie hatte den Verdacht, dass Boabdil seine Soldaten auch deswegen zurückließ, weil er wenigstens einmal in seinem Leben für ein paar Tage ein ganz normaler Mann mit ganz normalen Freiheiten sein wollte. Sie hoffte nur, dass er den Verzicht auf seine schlagkräftige Truppe nicht bereuen würde.
Zwei Tage später brachen sie auf. Da der Hauptmann Boabdil weiter bedrängt hatte, auf der Reise nicht auf seinen Schutz zu verzichten, hatte dieser ihm zumindest gestattet, ihm mit seinen Männern zu folgen – zumal er sich nicht dem Argument verschließen konnte, dass ihm die Schlagkraft der Soldaten zumindest in Granada von Nutzen sein würde. »Aber ich erwarte, dass Ihr wenigstens einen halben Tagesritt hinter uns zurückbleibt, und wenn Ihr meinem Befehl zuwiderhandelt, werden vor den Köpfen des Räuberpacks meines Vaters die Euren rollen!«
Wieder machten sie einen weiten Bogen um alle Siedlungen. Als sie die erste Nacht im Wald verbrachten und Zahra sah, wie schwer sich Boabdil tat, auf dem harten Boden eine Position zu finden, die es ihm einzuschlafen erlaubte, amüsierte sie sich insgeheim, auch wenn sie sich noch gut daran erinnern konnte, wie schwer es ihr in den ersten Nächten gefallen war, eine bequeme Stellung zu finden und nicht bei jedem Käuzchenruf oder dem Piepsen einer Maus erschrocken in die Höhe zu fahren. Tatsächlich hörten sie von ihm, dem es auch im Exil dank dem unerschöpflichen Reichtum der Familie seiner Mutter nie an Annehmlichkeiten gefehlt hatte, nicht ein Wort der Klage. Auffallend war auch, dass Boabdil von Tag zu Tag entschlussfreudiger zu werden schien. Seine Stimme gewann an Festigkeit, seine Worte an Bestimmtheit, seine Gesten an Nachdruck. Beim Aufbruch waren sie drei nahezu gleichgestellte Reisende gewesen, und Boabdil hatte bei vielem ihres Rates bedurft, aber schon nach wenigen Tagen übernahm er die Führungsrolle, und Zahra erkannte, dass das tief aus dem Herzen kommende Streben seiner Mutter, für Granada ihr Bestes zu geben, ebenso in ihm verwurzelt war wie die Gabe seines Vaters, andere nach seinem Willen zu lenken. Mit jeder Legua, die sie voranschritten, wurde er mehr und mehr zu dem Mann, den seine Mutter erwartete und den ihr Königreich so dringend benötigte: ein Mann, der die Kraft und die Autorität besaß, über das weite Land seiner Väter zu herrschen.
Boabdil wollte so schnell wie möglich nach Granada gelangen, und so sahen sie bereits nach zwölf Tagen im Schein der untergehenden Sonne die Alhambra in tiefem Rot über ihrer Heimatstadt aufglühen. Verstohlen wischte sich Zahra ein paar Tränen von den Wangen, und sie ahnte, dass dieser Anblick Kafur und Boabdil nicht weniger bewegte. Granada und die Alhambra – das war ihr Reich, ihr Leben, ihre Vergangenheit und hoffentlich auch ihre Zukunft.
Vor ihnen strömte eine große Zahl Landarbeiter auf die Stadt zu. »Wenn wir uns unter sie mischen, dürften wir kaum auffallen«, meinte Boabdil. Er stieg von seinem Muli und wies Zahra und Kafur an, es ihm gleichzutun.
Als sie sich dem Stadttor näherten, klopfte Zahra das Herz bis zum Halse. Da sie wegen ihrer Jungenkleidung nicht verschleiert war, fürchtete sie, von einem Passanten erkannt zu werden oder gar, wie schon einmal, ausgerechnet ihrem Halbbruder in die Arme zu laufen. Als sie mit einem Pulk Bauern an den Stadtwachen
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