Die Maurin
Vertrau ihm!«
Sie hörten das Knarren der Eingangstür und eilige Schritte. Kurz darauf stand Boabdil vor ihnen. Sein Atem ging stoßweise. Erschrocken lief Zahra zu ihm. »Was ist geschehen? Hat dich jemand erkannt?«
Boabdil schüttelte keuchend den Kopf. »Aber hinter mir her waren sie trotzdem. Es war nicht leicht, Ismails Wachmänner abzuschütteln.«
»Willst du damit etwa andeuten, Ismail hätte …«
»Nein, Ismail weiß nicht, dass sie hinter mir her waren«, unterbrach Boabdil sie. »Bei meinem Weg durch die Stadt fiel mir auf, dass die meisten bedeutenden Familien Granadas vor ihren Häusern zahlreiche Wachleute postiert haben. Als ich versucht habe, über die Mauer in Ismails Patio zu steigen, haben mich zwei seiner Wachmänner gestellt. Gott sei Dank konnte ich schneller rennen als sie!« Boabdil lachte wie ein Junge, dem ein köstlicher Streich gelungen war. »Ich konnte Ismail gerade noch eine Nachricht in den Patio werfen. Ich hoffe, er findet sie und hat die Geheimsprache, die wir uns als Kinder ausgedacht haben, nicht vergessen. Ich habe ihn gebeten, sich morgen nach dem Mittagsgebet am Eingang des s
uqs
mit mir zu treffen.«
Vor Erleichterung traten Zahra Tränen in die Augen. Kafur erhob sich und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Meinst du nicht, wir sollten jetzt unsere Decken holen und ein wenig schlafen?«
Zahra nickte. Schon bald hörte sie die beiden Männer ruhig und gleichmäßig atmen, sie selbst aber blickte noch lange zu den glitzernden Sternen hoch.
Bis zum Nachmittagsgebet wartete Boabdil auf seinen alten Freund Ismail am Eingang zum s
uq,
doch er kam nicht.
»Vielleicht hat Ismail meine Nachricht nicht rechtzeitig gefunden, oder sie ist in die falschen Hände geraten«, meinte Boabdil später zu Zahra und Kafur. »Ich werde heute Nacht noch einmal versuchen, in seinen Palast zu gelangen. Vielleicht habe ich diesmal mehr Glück.«
Schon allein beim Gedanken an die Gefährlichkeit dieses Unterfangens lief Zahra ein Schauer über den Rücken. »Gibt es denn keinen anderen Mann in der Stadt, dem du auch vertraust und der sich mit Ismail oder deiner Mutter in Verbindung setzen könnte?«
Boabdil schüttelte den Kopf.
Zahra musste an Raschid denken. Ja, wenn er zu Hause gewesen wäre … Auf ihn wäre Verlass gewesen. Und ihr Vater …
Zahra wiederholte den Gedanken laut.
»Was ist mit deinem Vater?«, fragte Boabdil.
»Ich denke, auch ihm könntest du vertrauen. Schon seit Monaten wettert er gegen Hassans Kriegspolitik. Für meinen Vater wäre es kein Problem, sich mit Ismail in Verbindung zu setzen und ein Treffen mit ihm zu vereinbaren, und über die Dachterrassen kämst du leicht in unser Haus. Du müsstest nur aufpassen, dass dich Yazid nicht sieht. Der hätte nichts Eiligeres zu tun, als dich deinem Vater auszuliefern!«
Boabdil nickte. Zahra durchfuhr ein heißer Schreck. »Aber was tun wir, wenn mein Vater nach Marokko gereist ist, um Hayat zu ihrem Mann zu bringen?«
Boabdil sah sie abwartend an. Zahra zwang sich, ruhig zu bleiben. Würde ihr Vater Hayat tatsächlich auch ohne sie nach Marokko bringen? Sie dachte an ihre Mutter, die ihr Verschwinden sicher trotz ihres Briefes aufgeregt hatte, dachte an ihre schwache Gesundheit – und schüttelte den Kopf. Nein, ihr Vater würde Leonor unter diesen Umständen niemals allein in der Obhut der Dienstboten und Yazids zurücklassen. Und wer weiß, vielleicht war Miguel ja wirklich zurückgekommen, um Hayat zu holen.
»Nein, Vater ist sicher nicht abgereist«, erklärte sie Boabdil schließlich mit fester Stimme. »Und mit ein bisschen Glück brauchen wir, um ihn zu treffen, noch nicht einmal nach Hause, sondern nur zu unserer Seidenfarm reiten. Jetzt schlüpfen doch bald die Raupen aus den Eiern! Da ist unsere Familie sicher vor Ort, denn Vater will immer alles überwachen. Und Yazid hält sich nie dort auf. Er hasst Seidenraupen!«
Ein Lächeln breitete sich auf Boabdils Gesicht aus. »Wann können wir losreiten?«
Gleich im Morgengrauen verließen Zahra und Boabdil zusammen mit den ersten Landarbeitern die Stadt in westlicher Richtung und gelangten um die Mittagszeit bei der Farm an. Kafur war in Granada geblieben, der stramme Ritt von Almería hierher hatte ihn sehr mitgenommen.
Boabdil befahl Zahra, in dem Wäldchen vor der Seidenfarm zu warten, bis er mit ihrem Vater gesprochen hatte. Im ersten Moment war Zahra erleichtert, ihrem Vater noch nicht unter die Augen treten zu müssen, aber das
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