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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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vorbeigingen, senkte sie den Blick so tief, dass Boabdil ihr in die Seite stieß und ihr zuzischte: »So erweckst du erst recht den Argwohn der Wachen!«
    Hastig hob Zahra den Kopf und setzte eine ebenso müde und abgekämpfte Miene wie die anderen Landarbeiter auf, was ihr nach der anstrengenden Reise nicht schwerfiel. Die Wachen winkten sie vorbei, und Boabdil nickte ihr zufrieden zu.
    »Und jetzt führ uns zu dem verfallenen Haus an den Trinkwasserzisternen, von dem du mir erzählt hast. Es ist sicher besser, wenn ich Ismail erst im Schutz der Nacht aufsuche und wir so lange dort untertauchen.«
    Also setzte sich Zahra an die Spitze ihrer kleinen Truppe. Schon eine Viertelstunde später erreichten sie das heruntergekommene Gebäude. Sie stahlen sich mit ihren Tieren ins Haus, banden sie im Patio an und ließen sich mit einem erleichterten Aufseufzen neben ihnen nieder. Zahra verteilte Brot und Trockenfleisch.
    »Warum willst du eigentlich als Erstes mit deinem alten Freund Ismail sprechen?«, fragte sie Boabdil, nachdem sie den ersten Hunger gestillt hatte. »Ich hatte angenommen, du würdest erst deine Mutter aufsuchen.«
    »In die Alhambra komme ich – wenn überhaupt – nur mit Waffengewalt, und zu der Familie meiner Mutter kann ich mich erst wagen, wenn ich weiß, wer von ihnen zuverlässig zu uns steht. Ismail jedoch vertraue ich. Wenn mich ein Mensch in Granada niemals verraten oder hintergehen würde, dann er! Außerdem wird er mir eine realistische Einschätzung der Lage geben können. Vergiss nicht, dass seit eurer Abreise aus Granada mehr als ein Monat vergangen ist. Die Verhältnisse können sich inzwischen verändert haben.«
    Zahra fragte sich, wie lange Boabdil Ismail nicht mehr gesehen hatte. Sieben Jahre – und seither nur ein paar Briefe … Vorsorglich bat sie in einem
du’a,
dass Ismail noch ebenso zuverlässig zu Boabdil stand, wie dieser ihn aus seinen Jugendtagen in Erinnerung hatte.
     
    Unruhig lief Zahra im vom matten Schein des Mondes beschienenen Patio hin und her. Ab und an kickte sie einen der herumliegenden Geröllbrocken zur Seite. Seit Boabdil aufgebrochen war, zogen vor ihrem inneren Auge immer beängstigendere Bilder auf. So vieles konnte ihm in der Stadt seines Vaters widerfahren, und was sollte aus ihr werden, wenn ihm etwas zustieß? Ohne ihn als Fürsprecher konnte sie es nicht wagen, jemals wieder vor ihre Eltern zu treten. Sie würde die Stadt ebenso heimlich, wie sie sie betreten hatte, wieder verlassen und zusehen müssen, wie sie sich in einem anderen Teil des Landes allein durchschlug.
    Aber wie sollte ihr das gelingen? Der Koran sah es als höchste religiöse Pflicht der Frauen an, sich als Eheweib und Mutter dem Fortbestand der Familie zu widmen, nur so konnte sie ihre
ird,
die Ehre, bewahren. Dies war in der Regel mit der Ausübung eines Berufs unvereinbar; für den Unterhalt der Familie zu sorgen war die Aufgabe der Männer, so dass selbst Frauen der unteren Schichten nur selten arbeiteten, und schon gar nicht außerhalb ihrer eigenen vier Wände. Die wenigen unabhängigen muslimischen Frauen, von denen Zahra je gehört hatte, verdingten sich als Hebamme, Klageweib, Frisörin, Botenfrau, Sängerin oder Wahrsagerin, und Zahra war klar, dass ihre Vorbildung sie zu keinem dieser Berufe befähigte. Was aber sollte sie sonst tun, um in der Welt da draußen zu überleben? Wider Willen musste sie zugeben, dass ihr selbst die Ehe mit dem feisten Ibrahim hiergegen in einem anderen, durchaus verlockenden Licht erschien, aber auch dieser Weg wäre ihr ohne Boabdils Fürsprache versperrt. Als sie dann auch noch an ihre Familie dachte, die sie vielleicht niemals wiedersehen würde und die jetzt doch in so unmittelbarer Nähe zu ihr war …
    »Sternchen, beim Allmächtigen, kannst du dich nicht mal hinsetzen?« Kafur sah seufzend zu ihr auf. »Von deinem Herumgerenne wird mir allmählich schwindlig!«
    »Aber ich kann jetzt nicht sitzen«, stöhnte Zahra. »Mir geht so vieles im Kopf herum …«
    »Und was ändert es, dass du dir den Kopf zerbrichst? Es ist allein Allah,
ta’ala,
der unsere Schritte lenkt!«
    »Aber in welche Richtung lenkt er sie?« Zahra sah ihn hilfesuchend an. Seufzend schlug Kafur mit der flachen Hand neben sich auf den Boden. »Komm her, Sternchen, setz dich zu mir und schau dir deine Freunde da oben im Himmel an. Siehst du nicht, wie wohlgeordnet sie sind? Alle haben ihren festen, unverrückbaren Platz.
Allahu akbar,
Sternchen, Allah ist groß.

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