Die Maurin
Warten war schon nach kurzer Zeit kaum zu ertragen, und so folgte sie Boabdil schließlich doch. Wenigstens einen Blick in den Hof wollte sie erhaschen!
Schon von weitem sah Zahra durch die weit offen stehenden Hoftore, dass rege Betriebsamkeit herrschte. Die Männer reinigten die Raupenkisten für den neuen Besatz, eine Dienerin pflückte Maulbeerblätter, die den geschlüpften Larven als Nahrung dienten, andere überholten die Spinnräder und Webrahmen. Erinnerungen an früher kamen in Zahra hoch – und eine so große Sehnsucht nach ihrer Mutter, dass sie kaum noch atmen konnte. Alle Vorsicht vergessend, trieb sie ihr Maultier weiter bis zum Hoftor, saß dort ab und schlich an der Mauer entlang. Nur einen einzigen Blick aus der Nähe wollte sie hineinwerfen, vielleicht Tamu oder sogar ihre Mutter sehen, doch noch ehe sie eine von ihnen entdeckt hatte, legte sich plötzlich eine schwere Hand auf ihre Schulter. »Was hast du hier zu suchen, Bursche?«
Zahra erkannte die Stimme und fuhr herum. Als sie die Augen zu ihrem Vater hob, klopfte ihr Herz bis zum Halse.
Kaum hatte ihr Vater erkannt, wer vor ihm stand, fuhr seine Hand so abrupt von ihrer Schulter zurück, als habe er sich verbrannt.
»Vater, bitte, ich kann alles erklären«, stammelte Zahra.
Mit versteinerter Miene winkte Abdarrahman einen Arbeiter herbei. »Schließ die Tore. Hier draußen treibt sich heute allerlei dreckiges Gesindel herum!« Ohne sie eines Blicks zu würdigen, ging er in den Hof.
Zahra wollte ihm nachlaufen, doch der Arbeiter verstellte ihr den Weg. »Vater, so hört mich doch wenigstens an!«
Boabdil trat vor Abdarrahman und machte dessen Arbeiter mit einer so gebieterischen Geste klar, dass er den »Burschen« eintreten lassen solle, dass dieser augenblicklich zur Seite trat. Obwohl Abdarrahman Boabdil seit sieben Jahren nicht gesehen hatte, erkannte er ihn sofort wieder. Seine großen, klugen Augen und die langen, edlen, durchaus aber energischen Hände waren die seiner Mutter; die mächtige Statur und die gebieterische Ausstrahlung erinnerten an dessen Vater.
»Ihr – hier?«, stotterte Abdarrahman, fasste sich dann und bat Boabdil eilig ins Haus. »Ich denke, es ist in Eurem Interesse, wenn niemand erfährt, dass Ihr hier seid!«
Mit einer Kinnbewegung forderte Boabdil Zahra auf, ihnen zu folgen. Abdarrahman hob verwirrt die Augenbrauen und fragte sich, was, beim Satan, seine Tochter mit dem Sohn des Emirs zu tun hatte.
Er führte Boabdil in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür, ehe Zahra nachkommen konnte. »Mein Gebieter, ich … Wie komme ich zu der Ehre Eures Besuchs?«
»Die Zeit drängt, und deswegen will ich mich kurz fassen«, erwiderte Boabdil. »Eure Tochter meinte« – bei dem Wort Tochter verdüsterte sich Abdarrahmans Miene –, »dass Ihr auf meiner Seite steht und bereit wärt, Euch für mich mit Ismail in Verbindung zu setzen. Ich muss ihn dringend sprechen!«
»Ihr wollt Euren Vater stürzen«, entfuhr es Abdarrahman. Er kniete vor Boabdil nieder und küsste seine Hand. »Allah, er ist erhaben, hat meine Gebete gehört.«
Mit einem breiten Strahlen eilte Ismail am Abend in Abdarrahmans Arbeitszimmer und schloss seinen Jugendfreund in die Arme. »Boabdil, du segensreicher Geist meiner Kindertage, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dich je wiederzusehen!«
»Wenn du mich weiter so fest an dich drückst, wird es zugleich auch das letzte Mal sein, dass du mich lebend siehst!«, erwiderte Boabdil lachend, obwohl ihn das Treffen nicht weniger bewegte als seinen Freund. Ismail stimmte in sein Lachen ein. Er vergewisserte sich, dass Boabdil bei bester Gesundheit war, und fragte dann mit ernster Miene, was ihn herführte. Boabdil erzählte ihm sein Vorhaben, seinen Vater vom Thron zu stoßen. »Das Sterben Granadas muss ein Ende haben. Die Menschen unseres Landes sollen endlich wieder in Frieden leben können!«
»Deine Worte machen mich glücklich, und du kannst gewiss sein, dass das Volk Granadas nicht anders empfinden wird«, erwiderte Ismail. »Außerdem hast du einen günstigen Zeitpunkt gewählt: Dein Vater hat sich vor einigen Tagen auf seine Landgüter zurückgezogen, um sich von den letzten Kämpfen zu erholen. Granada ist derzeit schlecht bewacht!«
»Aber er hat weiter genug Verbündete in der Stadt, die sich mir entgegenstellen werden.« Boabdil sah Ismail nachdrücklich an. »Und deswegen muss ich wissen, ob ich auf dich und deine Anhänger zählen kann.«
Ismail legte
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