Die Maurin
Brut!«
Die Hände auf den schmerzenden Magen und die Rippen gepresst, rutschte Zahra zurück an die Wand. Noch nie hatte sie ihren Halbbruder so erlebt. Sie blickte zu ihrem Vater, der in Kraft und Größe seinem Sohn ebenbürtig war, aber dann zog Yazid sein Schwert und hieb auf seinen unbewaffneten Vater ein. Behende wich Abdarrahman dem Schlag aus, doch der nächste Hieb fuhr ihm in den rechten Oberarm. Der Schmerz ließ Abdarrahman taumeln, er sackte gegen die Wand. Yazid fuhr zu Zahra herum.
»Und jetzt wieder zu dir, du Natter!«, brüllte er, hob das Schwert – doch da bogen ihm von hinten zwei Wachleute den Arm zurück und entwanden ihm die Waffe. Yazid rammte dem einen von ihnen den Ellbogen in den Magen und versuchte ihm sein Schwert wieder zu entreißen, doch im nächsten Moment versetzte der zweite Wachmann ihm einen so gewaltigen Tritt, dass Yazid gegen die Wand flog. Er sank in sich zusammen und schien bezwungen, doch da riss er aus seinem Stiefelschaft einen Dolch und stieß ihm einem Soldaten in den Hals. Als er ihn gleich darauf gegen den zweiten richtete, wich dieser entsetzt zurück. Yazid packte Zahra an den Haaren, riss sie auf die Füße und drückte ihr die Klinge an die Kehle. »Mach auch nur einen winzigen Schritt auf mich zu«, zischte er den Soldaten an, »und Zahra ergeht es nicht besser als deinem Kameraden!«
Zahra schluckte und spürte die eisige Klinge an ihrem Kehlkopf noch deutlicher. Sie sah, wie ihr Vater, den verletzten Arm an den Leib drückend, auf Yazid zuwankte. »Lass Zahra los«, keuchte er. »Es ist nicht an dir, sie zu richten!«
»Wenn mein Vater dazu nicht in der Lage ist, steht mir dieses Recht sehr wohl zu!« Yazid spuckte vor Zorn.
»Yazid, bitte, lass sie los!« Unbemerkt war Leonor in die Eingangshalle getreten. Bleich und durchscheinend wie ein Geist trat sie in ihrem weißen Schlafgewand auf Yazid zu und streckte flehend die Hand aus. »Gib mir meine Tochter!«
Yazid wandte sich zu ihr um, wodurch seine Hand mit dem Dolch ein Stück tiefer glitt. Augenblicklich stürzte sich Abdarrahman auf seinen Sohn und bog ihm mit einem Aufschrei den Arm zurück. Zahra flüchtete zu ihrer Mutter. Der Wachmann kam Abdarrahman zu Hilfe, doch Yazid entwickelte in seiner Wut unglaubliche Kräfte. Er schlug den Wachmann zu Boden, stieß seinen Vater zurück und flüchtete aus dem Haus.
9.
Seidenfarm
2 . April 1482
W ährend Abdarrahmans Armverletzung gut verheilte und Tamu Zahras Prellungen im Gesicht und an den Rippen mit einer gräulichen Salbe binnen weniger Tage zum Verschwinden brachte, rief die neuerliche Aufregung bei Leonor hohes Fieber hervor, was wegen ihrer ohnehin angegriffenen Gesundheit zu einem raschen Kräfteverfall führte. Zahra wich nicht von der Lagerstatt ihrer Mutter. Immer wieder flehte sie sie an, doch wenigstens ein wenig zu essen, aber wenn ihre Mutter überhaupt darauf reagierte, dann nur mit einem matten Kopfschütteln. »So lasst mich doch, lasst mich gehen …«
Am Abend kam Tamu in Leonors Zimmer und teilte Zahra leise mit, dass ihr Bräutigam eingetroffen sei. Sie sah nur kurz zu Tamu auf, nickte und hatte danach erneut nur Augen für ihre Mutter.
In der Nacht bestand Hayat darauf, Zahra an Leonors Bett abzulösen. »Du musst einmal schlafen. Es hilft niemandem, wenn auch du noch krank wirst!« Doch erst als ihr Vater sie mit harschen Worten dazu aufforderte, überließ Zahra ihren Platz Hayat. Vor ihrem Zimmer bemerkte sie im fahlen Licht der Öllampe eine Gestalt vor ihrem Zimmer, die, als eine Holzbohle unter ihren Füßen knarrte, um die Ecke flüchtete. Verwundert ging Zahra der Gestalt nach. Hinter ihrem Zimmer lagen derzeit nur unbewohnte Gästeräume. Als sie um die Ecke kam, stieß sie auf einen großen, feisten Mann. Ibrahim.
»Was habt Ihr hier zu suchen?«, fuhr Zahra ihn erbost an. »In diesem Teil des Hauses liegen die Frauenzimmer!«
»Oh, entschuldigt. Dann habe ich mich wohl verlaufen.«
Zahra hob die Augenbrauen. »Euer Zimmer liegt in der entgegengesetzten Richtung!«
Ibrahim trat einen Schritt auf sie zu und strich mit der rechten Hand über sein kurzes, krauses Haar. Unwillkürlich blieb Zahras Blick an seinen Fingern hängen. Sie waren dick und kurz, außerdem stark behaart.
»Aber da ich Euch nun schon getroffen habe …« Ibrahim zauberte mit einem geheimnisvollen Lächeln ein Kästchen hinter dem Rücken hervor. »Das wollte ich Euch schenken …«
Und Ihr wollt Euch verlaufen haben, dachte Zahra
Weitere Kostenlose Bücher