Die Mausefalle
sagte Miss Henderson. »Sind Sie ›auf heißer Spur‹, wie es in den Kriminalromanen heißt? Haben wir einen Kriminellen an Bord? Oder bin ich indiskret?«
»Überhaupt nicht, überhaupt nicht. Ich bedaure, Sie in Ihren Erwartungen enttäuschen zu müssen. Aber ich bin nur hier – wie alle andern –, um mich zu amüsieren.«
Er sagte es in derart glühendem Ton, dass Miss Henderson lachte.
»Oh! Morgen werden Sie Gelegenheit haben, in Alexandria an Land zu gehen. Waren Sie schon mal in Ägypten?«
»Noch nie, Mademoiselle.«
Miss Henderson erhob sich etwas plötzlich.
»Ich glaube, ich sollte dem General auf seinem Gesundheitslauf Gesellschaft leisten«, verkündete sie.
Poirot sprang höflich auf.
Sie bedachte ihn mit einem kleinen Nicken und ging an Deck.
In Poirots Blick lag ein leichtes Erstaunen, dann erschien ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Kurz darauf steckte er den Kopf durch die Tür und sah auf das andere Deck hinunter. Miss Henderson lehnte gegen die Reling und sprach mit einem großen, militärisch aussehenden Mann.
Poirots Lächeln wurde breiter. Er zog sich übertrieben vorsichtig in den Rauchsalon zurück – wie eine Schildkröte in ihren Panzer. Jetzt hatte er den Rauchsalon noch für sich, es würde wohl nicht lange so bleiben.
Tatsächlich. Mrs Clapperton trat ein, ihr sorgfältig gewelltes platinblondes Haar unter einem Netz verborgen, die massage – und diätgepflegte Figur in einem schicken Sportkostüm. Sie hatte das Benehmen einer Frau, die immer die besten Preise für alles, was sie haben wollte, bezahlen konnte.
Sie sagte: »John –? Oh! Guten Morgen, Monsieur Poirot – haben Sie John gesehen?«
»Er ist auf dem Steuerborddeck, Madame. Soll ich –?«
Sie hielt ihn mit einer Geste zurück. »Ich setze mich für eine Weile.« Sie ließ sich königlich in einem Sessel nieder. Aus der Ferne hatte sie wie etwa achtundzwanzig ausgesehen. Aus der Nähe sah sie trotz ausgezeichnet zurechtgemachtem Gesicht und fein gezupften Augenbrauen nicht wie ihre tatsächlichen neunundvierzig Jahre aus, sondern wie fünfundfünfzig. Ihre Augen waren metallisch hellblau und hatten winzige Pupillen.
»Es tut mir leid, dass ich Sie gestern Abend nicht beim Dinner gesehen habe«, sagte sie. »Es war natürlich wieder viel zu reichhaltig – «
»Précisément«, sagte Poirot gefühlvoll.
»Gott sei Dank werde ich nicht seekrank«, meinte Mrs Clapperton. »Ich sage Gott sei Dank, denn für mein schwaches Herz wäre eine Seekrankheit wahrscheinlich der Tod.«
»Sie haben ein schwaches Herz, Madame?«
»Ja, ich muss äußerst vorsichtig sein. Ich darf mich auf keinen Fall übermüden! Alle Spezialisten sind sich da einig!« Mrs Clapperton hatte jetzt zu ihrem Lieblingsthema, ihrer Gesundheit, gefunden. »John, der Arme, überarbeitet sich, weil er mich davor bewahren will, zu viel zu tun. Ich lebe sehr intensiv, falls Sie wissen, was ich meine, Monsieur Poirot?«
»Ja, ja.«
»Er sagt immer zu mir: ›Versuch dich ein wenig zu mäßigen, Adeline.‹ Aber ich kann es nicht. Das Leben muss voll gelebt werden, finde ich. Eigentlich habe ich mich schon als junges Mädchen im Krieg verausgabt. Mein Hospital – haben Sie von meinem Hospital gehört? Natürlich hatte ich Schwestern und Pfleger und alles andere – aber die ganze Last lag auf mir.« Sie seufzte.
»Ihre Vitalität ist bewundernswürdig, meine Liebe«, sagte Poirot mechanisch wie eine auswendig gelernte Antwort.
Mrs Clapperton lachte mädchenhaft.
»Jeder sagt, wie jung ich bin! Es ist absurd. Ich behaupte nie, dass ich jünger als dreiundvierzig bin. Aber viele Leute können es kaum glauben. ›Sie sind so lebhaft, Adeline‹, sagt man immer zu mir. Aber sehen Sie, Monsieur Poirot, was wäre ich, wenn ich nicht so intensiv lebte?«
»Tot«, antwortete Poirot.
Mrs Clapperton runzelte die Stirn. Die Antwort entsprach nicht ihrem Geschmack. Der Mann versuchte komisch zu sein. Sie erhob sich und sagte kühl: »Ich muss John finden.«
Als sie durch die Tür schritt, entglitt ihr die Handtasche. Sie öffnete sich und der Inhalt fiel heraus. Poirot eilte galant zu Hilfe. Es dauerte einige Minuten, bis Lippenstifte, Puderdose, Zigarettenetui, Anzünder und andere Kleinigkeiten zusammengesucht waren. Mrs Clapperton dankte höflich, rauschte dann auf das Deck hinunter und rief: »John – «
Oberst Clapperton war immer noch in sein Gespräch mit Miss Henderson vertieft. Er schwang herum und eilte seiner Frau entgegen. Er
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