Die Maya-Midgard-Mission
sein; denn er sah aus wie ein riesiger Eiskristall, der in Flammen stand. Und Kristalle gab es nur in den Bergen. Wo die Götter wohnten. Und Feuer spieen. Von Kristallen aber, die Flammen schlugen, erzählte keine einzige Legende. Und so mussten auch die Priester eingestehen, dass sie ratlos waren. Der FeuerEisMann hätte genauso gut ein Gott wie ein Götterbote sein können. Doch dann wäre er ein gefährlicher Rivale für die Priester gewesen. So verkündeten sie schließlich, dass der Fremde mit dem feuerroten Haar, der weißen Haut und den eisblauen Augen der Gesandte eines fernen Herrscherhauses sei, der sich persönlich vom glorreichen Ruhm des Dreikönigreiches überzeugen wolle. Und damit kamen sie der Wahrheit erstaunlich nahe.
NebelGeist wurde vom Straßenbau abgezogen und beauftragt, dem Gesandten ein Haus zu bauen. Und er hatte die Gelegenheit dankbar genutzt und sich außerdem noch mit dem FeuerEisMann angefreu ndet. Schon bald hatten sie gelernt, sich mit Handzeichen und wenigen Worten zu verständigen. Der Name seines neuen Freundes war Ragnar. Er erzählte NebelGeist wie passend sein Mayaname, FeuerEisMann, sei, da er doch aus einem Land stamme, in dem Feuer, Wasser und Eis einen ewigen Kampf ausfochten, der weder Gewinner noch Verlierer kenne. Er beschrieb NebelGeist wie das Eis aus dem Norden mit gierigen Gletscherzungen sein Land verschlang und wie die Vulkane grollend aber ohne Unterlass flüssige Erde ausspuckten, die beim Abkühlen neue Schollen bildete, um nach einer Spanne der Fruchtbarkeit wieder vom Eis vereinnahmt zu werden.
D a verstand NebelGeist, dass der FeuerEisMann kein Gott sein konnte, weil er den gleichen Kreisläufen ausgesetzt war wie die Mayas und wie alle Menschen.
Und trotzdem hatte Ragnar schon damals, gleich bei seinem ersten Besuch, bewiesen, dass seine gottgleiche Erscheinung nicht nur ird ischer Herkunft sein konnte. Der FeuerEisMann verstand sich auf die Heilkünste wie kein anderer Mensch. Er konnte selbst dann noch heilen, wenn die heimischen Weisen nicht mehr weiter wussten.
Eines Tages war der oberste Schamane, SchlangenVogel, der Prie sterKönig des Dreikönigreichs, zu der Überzeugung gelangt, dass sein Bruder dem Tode geweiht sei, und selbst die Heilkraft und die Gottnähe des Königs ihm nicht mehr zu helfen vermochten. Ein zäher, übelriechender, grauer Schleim hatte die Atemwege des Bruders verstopft. Doch dann war der FeuerEisMann gekommen, hatte freundlich lächelnd einige Kräuter und Blüten aus einem geheimnisvollen Lederbeutel geholt und die Frauen angewiesen, einen Sud daraus zu kochen. Die Mixtur, so erklärte der gottgleiche Heiler mit dem sprießenden Lippenhaar, stamme aus einem Land, das von Menschen mit gelber Haut und geschlitzten Augen bewohnt würde. Und man nenne den Trank 'Tee'. Wenige Tage nach Genuss des heißen Gebräus konnte Pixtli, der totgesagte Bruder des Königs, schon wieder an den Trockenzeitzeremonien teilnehmen.
NebelGeist erinnerte sich gerne an seinen Freund und an die Tage des Kennenlernens. Damals waren die Sommer weniger heiß und trocken gewesen, die Früchte süßer und die Träume näher. Er schaute durch das Uferdickicht auf den Strom und kam sich nicht länger verloren vor, während er auf Hilfe wartete. Der Fluss plätscherte, quoll und pulsierte dahin und NebelGeist fragte sich, ob ein Fluss jemals Gefühle hegte, etwa an seinem Lauf zweifelte, weil er nicht wusste, wohin die Reise ging. Aber da war keine Antwort; nur dieses immer gurgelnde, blaugrüne Wasser, das die Samen des Landes, durch das es strömte, ins Meer hinaustrug. Das grüne Blut eines Körpers, den NebelGeist und seine Gefolgsleute mit ihrer Art von Liebe am Leben erhalten wollten. In gewisser Weise unterschieden sie sich nicht von dem Fluss Tabat abax. Auch sie trugen den Samen ihres Volkes in eine andere Welt hinein. Zumindest hatten sie das vor.
NebelGeist blinzelte durch das Blattgrün des Dschungels in die Sonne und ergab sich dem Ewigen Tag. Dass sein weißer Rabe nicht auftauchte, konnte nur bedeuten, dass sie seiner Hilfe nicht bedurften.
NebelGeist und seine Flüchtlinge verbargen sich im dichten Unte rholz am Ufer und berieten, was zu tun sei. Ein Gewaltmarsch von drei Tagen und vier Nächten lag hinter ihnen. Sie wussten von Caupolican, dass die Soldaten des Priesterkönigs SchlangenVogel ihnen auf den Fersen waren und, dass sie sich seit Tagesanbruch in feindlichem Gebiet aufhielten. So hatten sie alle bekannten Pfade gemieden, das
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