Die Maya-Midgard-Mission
würde.
Der Zynismus des Krieges hatte sich in einem Flugzeug offenbart, das Freiheit hieß. Anstatt Freiheit brachte es Bomben und Tod. Es vernichtete die Menschlichkeit und am Ende auch die Bücher, die von Freiheit und Menschlichkeit kündeten. Wieder einmal versank die Sechste Sonne in einem blutroten Meer. Und die Fluten drohten das Licht ihres sechsten Kindes zu erlöschen, bevor dessen Strahlen unsere Welt erhellten.
C.M., Juli '60
***
37 HELLER ALS EIN STERN
NEU-ENGLAND, USA, 15. September 1960
Sechs Jahre ist es nun her...
"Telefon, Darling! Es ist dieser weise Brite. Huxley. Aldous Huxley. Und er will dich sprechen!" Arthur Miller war die Verblüffung anzusehen, als er den Telefonhörer mit der Hand bedeckte. In der Regel wurde er von Autorenkollegen angerufen und nicht seine Frau. Außerdem hatten sie zwei Tage drehfrei, und eine Störung war nicht willkommen. Sie brauchten die Zeit, um vielleicht doch noch einmal zusammenzufinden. Seit wann interessierte Marilyn sich für Intellektuelle? Vielleicht war am Ende an diesen Einstein-Gerüchten doch etwas... "Hol's der Teufel! Der Weise sagt was von einer Insel... Du wüsstest Bescheid. Falls es um ein Drehbuch geht... Aber ich wusste gar nicht, dass der Bursche auch so was verfasst... Na ja, hier."
Die Schauspielerin nahm den Hörer, errötete leicht und schenkte i hrem Mann ein verschwörerisches Zwinkern gefolgt von einem madonnenhaften Lächeln. Dann hauchte sie ein 'Hallo' in die Sprechmuschel.
Arthur Miller fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er einer Kostprobe ihres himmlischen Talents beiwohnen durfte, oder ob ihre Verletzlic hkeit, die er – nur er – doch so gut kannte, die sie aber aus beruflichen Gründen in der Öffentlichkeit mit falscher Fröhlichkeit und gekünsteltem Lächeln übertünchen musste, ob diese nach innen schmelzende und nach außen hin scheinende Weichheit, diese unbefangene Blöße einer ursprünglichen Natürlichkeit entsprang und keine Schwäche, sondern ihre eigentliche Stärke war – sie zur Göttin machte, die sie war. Er betrachtete ihren Körper, die weichen, fraulichen Linien unter dem Seidenpyjama, atmete ihre Schönheit, die sie wie ein Duft umhüllte, ein und lauschte für einen langen Augenblick ihren knappen Antworten –
" Eine Insel, ja, das habe ich... oh... ich verstehe. – Ja, Ihr Vortrag hat mich fasziniert. – Oh, aber ich möchte sie verstehen. Ich muss die Menschen verstehen können, sonst kann ich sie nicht lieben."
– bevor er leise ins Schlafzimmer zurückging.
Aldous Huxley war mindestens ebenso verblüfft wie sein Kollege A rthur Miller, dessen Arbeiten er als kritisch reflektierendes Gewissen seiner Nation bezeichnet hätte, deren mystische Tiefe für seinen Geschmack aber zu pragmatisch ausfiel. Was ihn erstaunte, war weniger die Kurzangebundenheit, die beinahe barsche Unhöflichkeit des Kollegen, als vielmehr die Wissbegierde, das fast schon verzweifelt zu nennende Ringen seiner Frau.
Aldous Huxley hatte keine besonders hohe Meinung vom Film und erst recht nicht von seinen Protagonisten. Aber dennoch war ihm wie vielen Millionen anderen Menschen der Name Marilyn Monroe ein Begriff. Wie erstaunt war er gewesen, als sich die vergötterte Kintopp-Eleve erst kürzlich nach einem seiner Vorträge am Massachussetts Institute of Technology um ein Privatgespräch mit ihm bemüht hatte, und ihm zu allem Überfluss gestand, inkognito seinem Seminar g elauscht zu haben.
Marilyn Monroe galt nicht gerade als der klassische Typ einer Intelle ktuellen. Huxley wusste, dass die amerikanische Presse sich bisweilen über ihre Bemühungen, als ernsthafte Künstlerin ernstgenommen zu werden, lustig machte, was ebenso billig wie heuchlerisch war, sich aber im Mutterland der Moralapostel gut verkaufte. Der Nährboden für Bigotterie und Krittelei war durch die Halb- und Scheinbildung der Vergnügungssüchtigen bestens bereitet. Ein Grund mehr, über die Belesenheit und den Forscherdrang dieser Frau erstaunt zu sein.
" Für die meisten Menschen im Westen ist sinnloses Lesen, sinnloses Musikhören, sinnlose Filmbetrachtung zu einer Sucht geworden, die das psychologische Gegenstück zu Alkoholismus und Morphinismus darstellt. Die Dinge sind so auf die Spitze getrieben worden, dass viele Millionen Männer und Frauen tatsächlich darunter leiden, wenn man ihnen für ein paar Tage oder auch nur ein paar Stunden ihre Zeitungen, Radiomusik und Filme entzieht. Wie Rauschgiftsüchtige müssen
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