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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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verliehen.
    Er wollte sich dieses Bild einprägen. Er wollte es. nie wieder vergessen. Vielleicht war er immer noch vom Jet-lag geschwächt, vielleicht wurde er erwartungsgemäß verrückt wie Yuri. Er wußte es nicht. Aber dies war ein Bild, das ihr ganzes Unternehmen mit allem Grauen, allen Offenbarungen beschrieb: der hohe Turm und darin die Verheißung einer Prinzessin.
    Der Chauffeur hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet. Die anderen gingen an ihm vorbei. Rowan blieb neben ihm stehen. Er schaute noch einmal über den See, und dann sah er den riesenhaften Ash vor sich herschreiten, der noch immer Stuart Gordons Schulter umklammert hielt. Stuart Gordon ging wie jemand, der gleich zusammenbrechen würde, ein alter Mann mit grauen Haaren; die Sehnen an seinem dürren Hals sahen jämmerlich verwundbar aus, als er jetzt ins Licht vor dem Eingang trat.
    Ja, dies ist der entscheidende Augenblick, dachte Michael, und die Erkenntnis traf ihn, als habe ihn jemand mit einem Boxhandschuh geschlagen: Ein weiblicher Taltos wohnte in diesem Turm wie Rapunzel, und Ash würde den Mann töten, den er da zur Tür führte.
    Vielleicht war die Erinnerung an diesen Augenblick – diese Bilder, die weiche, kühle Nacht – vielleicht war das alles, was er von diesem Erlebnis bewahren würde. Es war eine sehr reale . Möglichkeit.
    Mit einer bedächtigen, aber entschlossenen Geste entwand Ash Gordons Hand den Schlüssel und schob ihn in das große Eisenschloß. Die Tür öffnete sich reibungslos wie eine moderne Haustür, und sie betraten einen Flur, elektrisch beheizt und mit großen, behaglichen Möbeln ausgestattet, massiven Stücken im Renaissancestil mit birnenförmigen, wunderschön geschnitzten Beinen und Klauenfüßen, die mit verschlissenen aber immer noch sehr hübschen und wirklich alten Gobelinstoffen bezogen waren.
    Mittelalterliche Gemälde hingen an den Wänden, viele davon wiesen den unvergänglichen Hochglanz echter Eigelb-Tempera auf. Eine verstaubte Rüstung stand in der Ecke, und andere Schätze häuften sich hier und da in sorglosem Luxus. Dies war die Behausung eines poetischen Mannes, eines Mannes, der in Englands Vergangenheit verliebt und der Gegenwart womöglich fatal entfremdet war.
    Zur Linken führte eine Treppe in diesen Raum herunter; sie folgte der Krümmung der Wand. Aus dem Raum darüber fiel ein Lichtschein herunter – und nach dem, was Michael gesehen hatte, auch aus dem noch höher gelegenen Raum.
    Ash ließ Stuart Gordon los und ging zum Fuße der Treppe. Er legte die rechte Hand auf den groben Geländerpfosten und begann, hinaufzusteigen.
    Rowan folgte ihm auf dem Fuße.
    Stuart Gordon schien nicht zu merken, daß er frei war.
    »Tun Sie ihr nichts«, rief er plötzlich und erbost, als wisse er sonst nichts zu sagen. »Rühren Sie sie nicht an, wenn sie es nicht will!« flehte er dann. Die Stimme, die aus dem Schädelhaften alten Gesicht kam, schien das letzte Reservoir seiner Manneskraft zu sein. »Sie werden meinem Schatz weh tun!«
    Ash blieb stehen, schaute nachdenklich zu Gordon und stieg dann weiter die Treppe hinauf.
    Alle anderen folgten ihm, schließlich sogar Gordon, der sich grob an Michael vorbeidrängte und dann auch Yuri beiseite schob. Oben an der Treppe holte er Ash ein und verschwand dann aus Michaels Augen.
    Oben angekommen, fanden sie sich in einem weiteren großen Raum wieder, der so einfach war wie der im Erdgeschoß. Er war reichlich ausgestattet mit weichen Sofas und durchgesessenen alten Sesseln. Verstreute Stehlampen mit Pergamentschirmen bildeten klar abgegrenzte Inseln in der Dunkelheit, aber die Mitte des Zimmers war wunderbar leer. Ein einzelner, eiserner Kronleuchter mit einem Kranz aus tropfenden Kerzen beleuchtete ein blankpoliertes Rund von Bodendielen.
    Michael brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, daß eine teilweise verhüllte Gestalt im Zimmer war. Yuri betrachtete diese Gestalt bereits.
    Auf der anderen Seite des Lichtkreises, ihnen gegenüber, saß eine sehr große Frau auf einem Schemel. Sie arbeitete anscheinend an einem Webstuhl. Eine kleine, geschwungene Tischlampe beleuchtete ihre Hände, aber nicht ihr Gesicht. Ein kleines Stück ihres Gobelingewebes war sichtbar, und Michael sah, daß es ein kompliziertes Muster voll gedämpfter Farben war.
    Ash stand stocksteif da und starrte sie an. Die Frau erwiderte seinen Blick. Es war die langhaarige Frau, die Michael am Fenster gesehen hatte.
    Die anderen rührten sich nicht. Gordon stürzte auf sie

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