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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Der Mund war weich wie der eines Babys, eigentlich unmöglich bei einem Mann mit dieser Haut, oder doch höchst unwahrscheinlich, und die Zähne waren so weiß wie auf einer grellen Reklame, die schamlos retouchiert worden war.
    Michael glaubte keinen Augenblick lang, daß dieses Wesen uralt war oder daß es sich um den großen Heiligen Ashlar aus den Legenden von Donnelaith handelte, den alten König, der in den letzten Tagen des Römischen Reiches in Britannien zum Christentum übergetreten war und zugelassen hatte, daß seine heidnische Gemahlin Janet auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
    Aber die düstere Geschichte hatte er geglaubt, als Julien sie ihm erzählt hatte. Und dies war ohne Zweifel einer der vielen Ashlars – einer der mächtigen Taltos aus dem Glen, ein Wesen von derselben Art wie das, das Michael selbst abgeschlachtet hatte.
    Diese Tatsache bestritt er mit keiner Faser seines Herzens. Er hatte zuviel erlebt, um noch daran zu zweifeln. Er konnte nur nicht glauben, daß der große, schöne Mann der Hl. Ashlar selbst sein sollte. Vielleicht wollte er auch nur nicht, daß es so war – aus sehr guten Gründen, die innerhalb dieses verzwickten Gefüges, das er inzwischen vorbehaltlos akzeptierte, durchaus plausibel waren.
    Ja, du lebst heute mit einer ganzen Reihe von völlig neuen Realitäten, dachte er. Vielleicht nimmst du deshalb alles so ruhig hin. Du hast einen Geist gesehen, du hast ihm zugehört, du weißt, daß er da war. Er hat dir Dinge erzählt, die du dir niemals hättest ausdenken oder einbilden können. Und du hast Lasher gesehen, hast sein langes Plädoyer um Mitgefühl gehört, und auch das war etwas völlig Unvorstellbares für dich, eine Fülle von neuen Informationen und seltsamen Details, an die du dich noch immer voller Verwirrung erinnerst, nachdem der Jammer, den du empfunden hast, als Lasher das alles erzählte, vorüber ist und Lasher unter dem Baum begraben liegt.
    Ach ja, nicht zu vergessen, wie du die Leiche begraben hast, wie du den Kopf dazugeworfen und dann den Smaragd gefunden hast. Wie du ihn aufgehoben und im Dunkeln in der Hand gehalten hast, während der enthauptete Leichnam dort unten in der nassen Erde lag und darauf wartete, bedeckt zu werden.
    Vielleicht kann man sich an alles gewöhnen, dachte er, und er fragte sich, ob vielleicht genau das mit Stuart Gordon passiert war. Er hatte keinen Zweifel daran, daß Stuart Gordon schuldig war, furchtbar und unverzeihlich schuldig in jeder Hinsicht. Auch Yuri hatte keinen Zweifel daran. Aber wie hatte der Mann es vermocht, seine Werte zu verraten?
    Michael mußte zugeben, daß er für genau diese Art von geheimnisumwobener keltischer Düsterkeit schon immer sehr empfänglich gewesen war. Vielleicht hatte seine Liebe zum Weihnachtsfest ihre Wurzeln in irgendeiner irrationalen Sehnsucht nach den Ritualen, die auf diesen Inseln ihren Ursprung hatten. Und all der zierliche Weihnachtsschmuck, den er im Laufe der Jahre so liebevoll zusammengetragen hatte, war in gewisser Weise nur Sinnbild alter keltischer Gottheiten und eines Ritus, der heidnische Geheimnisse überlagerte.
    Seine Liebe zu den Häusern, die er restauriert hatte, hatte ihn dieser Atmosphäre alter Geheimnisse und alter Pläne und einem schlummernden Wissen, das zu entdecken war, manchmal so nahe gebracht, wie das in Amerika nur möglich war.
    Ihm war klar, daß er Stuart Gordon in gewisser Weise verstehen konnte. Und sehr bald würde diese Tessa alle seine Opfer und schrecklichen Irrtümer restlos verständlich machen.
    Wie dem auch sei, Michael hatte soviel durchgemacht, daß seine Ruhe jetzt unvermeidlich war. Ja, du hast das alles durchgemacht, du bist von ihnen benutzt und von ihnen geprügelt worden, und jetzt stehst du hier vor der Kneipe in einem kleinen Bilderbuchdorf mit seiner sanft abschüssigen Pflasterstraße und denkst ohne Emotionen über all das nach – daß du mit jemandem zusammen bist, der kein Mensch ist, aber genauso intelligent, und der bald einer weiblichen Artgenossin begegnen wird, was ein Ereignis von so gewaltiger Bedeutung sein wird, daß eigentlich niemand es erwähnen möchte, vielleicht nur aus Respekt vor dem Mann, der sterben soll.
    Es ist schwer, eine Stunde lang mit einem Mann im Auto zu sitzen, der sterben soll.
    Michael hatte seine Zigarette aufgeraucht. Yuri war aus dem Pub gekommen. Sie waren bereit zur Weiterfahrt.
    »Haben Sie das Mutterhaus erreicht?« fragte Michael schnell.
    »Ja, und zwar mehr als einen dort. Ich

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