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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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so schönen Gemahlin zusammengeführt, daß Sie auf die Knie fallen und mir danken sollten!« Er war plötzlich entsetzt – ungläubig, und doch zusehends niedergeschmettert.
    »Ihr Gesicht wird immer so aussehen, vielleicht bis zu dem Tag, an dem sie stirbt«, sagte Ash in seinem charakteristisch milden Ton. »Ich habe nie gesehen, daß ein Taltos ein anderes Gesicht gehabt hätte. Aber ihr Haar ist weiß, ganz weiß; nicht eine lebende Strähne ist mehr darin. Und kein Duft geht von ihr aus. Fragen Sie sie selbst. Menschen haben sie benutzt, wieder und wieder. Ihr Schoß ist tot. Ihr Quell ist versiegt.«
    Gordon protestierte nicht weiter. Er schlug vor dem Mund die Hände zusammen, und das kleine Spitzdach, das seine Finger bildeten, knickte ein und drängte seinen Schmerz zurück.
    Die Frau sah ein bißchen verwirrt aus, aber nicht mehr beunruhigt. Sie trat vor und umschlang den zitternden Gordon leicht mit einem langen, schlanken Arm, und dann wandte sie sich mit sehr klaren Worten an Ash.
    »Du verurteilst mich für das, was Menschen mir angetan haben: dafür, daß sie mich benutzt haben in jedem Dorf, in jeder Stadt, in die ich kam, daß sie im Laufe der Jahre das Blut wieder und wieder fließen ließen, bis keines mehr da war?«
    »Nein, ich verurteile dich nicht«, sagte Ash ernst und mit großer Fürsorglichkeit. »Ich verurteile dich nicht, Tessa. Wahrhaftig nicht.«
    »Ah!« Sie lächelte wieder, freundlich, beinahe strahlend, als sei dies ein Grund zu überschwenglicher Freude.
    Plötzlich schaute sie Michael an, und dann die schattenhafte Gestalt Rowans, die an der Treppe stehen geblieben war. Ihr Blick war eifrig und liebevoll.
    »Hier bin ich sicher vor diesem Grauen«, sagte sie. »Stuart liebt mich in Keuschheit. Dies ist meine Zuflucht.« Sie streckte Ash die Hände entgegen. »Willst du nicht bei mir bleiben, mit mir sprechen?« Sie zog ihn in die Mitte des Zimmers. »Willst du nicht mit mir tanzen? Ich höre Musik, wenn ich in deine Augen schaue.« Sie zog Ash an sich und sagte mit tiefem, wahrem Empfinden: »Ich bin so froh, daß du gekommen bist.«
    Erst jetzt sah sie Gordon an, der sich mit gefurchter Stirn, die Finger an die Lippen gepreßt, zurückgezogen hatte und rückwärts bis zu einem schweren, alten Holzsessel ging. Er setzte sich, ließ den Kopf gegen die harten Bohlen sinken, aus denen die Lehne bestand, und drehte ihn müde zur Seite. Seine Begeisterung war verflogen. Es war, als weiche das Leben aus ihm.
    »Tanz mit mir«, sagte Tessa. »Ihr alle, wollt ihr nicht tanzen?« Sie schleuderte die Arme von sich, warf den Kopf in den Nacken und schüttelte ihr Haar, das in der Tat aussah wie das leblose Haar der sehr, sehr Alten.
    Sie drehte sich im Kreis, bis ihr langer violetter Rock wie eine Glocke um sie herumschwang. Sie tanzte auf den Zehenspitzen, auf kleinen Füßchen in Pantoffeln.
    Michael konnte den Blick nicht von ihr wenden, von den verhalten schwingenden Bewegungen, mit denen sie dem großen Kreis folgte, erst den rechten Fuß setzte, dann den anderen nachzog, als sei dies ein ritueller Tanz.
    Was Gordon anging, so war es zu schmerzhaft, ihn auch nur anzusehen; diese Enttäuschung schien ihm weit wichtiger zu sein als sein Leben. Ja, es war, als habe der tödliche Schlag ihn bereits getroffen.
    Auch Ash starrte Tessa hingerissen an – vielleicht gerührt, auf jeden Fall besorgt, und vielleicht sogar jammervoll.
    »Sie lügen«, sagte Stuart. Aber es war ein verzweifeltes, gebrochenes Murmeln. »Was Sie da erzählen, ist eine schreckliche, abscheuliche Lüge.«
    Ash machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten. Er lächelte und nickte Tessa zu.
    »Stuart, meine Musik. Bitte, spiele meine Musik. Spiele meine Musik für… für Ash.« Sie verneigte sich tief vor Ash und schenkte ihm wieder ein Lächeln, und auch er lächelte und griff nach ihren Händen.
    Die Gestalt auf dem Stuhl war bewegungsunfähig. Wieder murmelte der alte Mann: »Es ist nicht wahr«, aber er glaubte seinem eigenen Leugnen nicht mehr.
    Tessa hatte angefangen, ein Lied zu singen, und drehte sich wieder im Kreis.
    »Spiele die Musik, Stuart, spiele sie.«
    »Ich spiele sie für Sie«, sagte Michael mit leiser Stimme. Er drehte sich um und suchte nach einer möglichen Quelle von Musik; er hoffte gegen alle Vernunft, daß es kein Instrument sein möge, eine Harfe, eine Fiedel, irgend etwas, das einen Musiker erforderte, denn dann würde er der Situation nicht gewachsen sein.
    Ihm selbst brach es das Herz;

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