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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wirklich begreifen können, was es bedeutet.«
    Aber er war viel zu aufgewühlt, als daß an dem, was er sagte oder tat, irgend etwas Künstliches hätte sein können. Seine Gesten waren nicht mehr hysterisch. Sie waren tragisch.
    Ash stand noch immer reglos da und lächelte Tessa sehr bedächtig an, und dann nickte er zufrieden, als ihr kleiner Mund sich öffnete und verbreiterte und ihre Wangen sich ebenfalls zu einem Lächeln rundeten. ,
    »Du bist sehr schön«, flüsterte Ash, und dann hob er seine Hand an die Lippen, küßte seine Fingerspitzen und drückte ihr diesen Kuß auf die Wange.
    Sie seufzte, reckte den langen Hals und schüttelte sich das Haar über den Rücken; dann streckte sie die Hände nach ihm aus, und er nahm sie in die Arme. Er küßte sie, aber er tat es ohne Leidenschaft. Michael konnte es sehen.
    Gordon trat zwischen die beiden. Er umfaßte Tessas Taille mit der linken Hand und zog sie sanft zurück.
    »Nicht hier, bitte. O bitte – nicht, als wäre dies ein gemeines Bordell.«
    Er ließ Tessa los und wandte sich an Ash, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Ohne Angst schaute er jetzt zu ihm auf; er war von etwas erfaßt, das wichtiger war als sein eigenes Überleben.
    »Was ist der richtige Ort für die Hochzeit des Taltos?« fragte er ehrfürchtig, in vollem, beschwörendem Ton. »Welches ist der heiligste Ort in England, wo St. Michaels Linie über den Kamm des Hügels führt und wo der verfallene Turm der uralten Kirche von St. Michael noch immer wie ein Wächter steht?«
    Ash betrachtete ihn beinahe traurig, gefaßt, als die leidenschaftliche Stimme fortfuhr.
    »Laßt mich euch dort hinbringen, euch beide. Laßt mich die Hochzeit des Taltos auf dem Glastonbury Tor sehen!« Seine Stimme wurde leiser, und die Worte kamen gleichmäßig, beinahe langsam. »Wenn ich das sehe, wenn ich das Wunder der Geburt sehe, dort auf dem geheiligten Berg, an dem Ort, wo Christus selbst nach England kam – wo die alten Götter gefallen und neue Götter auferstanden sind, wo Blut vergossen ward zur Verteidigung des Heiligen – wenn ich das sehe, die Geburt der Nachkommenschaft, voll ausgewachsen und die Arme nach den Eltern ausstreckend, das Symbol des Lebens selbst – wenn ich das sehe, dann kommt es nicht mehr darauf an, ob ich lebe oder ob ich sterbe.«
    Er hatte die Hände erhoben, als halte er den heiligen Gedanken darin; seine Stimme hatte alles Hysterische verloren, und seine Augen blickten klar und beinahe sanft.
    Yuri beobachtete ihn mit sichtlichem Mißtrauen.
    Ash war das Inbild der Geduld, aber zum ersten Mal sah Michael jetzt eine tiefere, dunklere Emotion hinter seinen Augen und seinem Lächeln.
    »Denn dann«, sagte Gordon, »habe ich gesehen, wofür zu sehen ich geboren wurde. Ich war Zeuge des Wunders, von dem die Dichter singen und die alten Männer träumen. Ein Wunder, so groß wie nur irgendeines, das ich kennen gelernt habe, seit meine Augen lesen können, seit meine Ohren die Geschichten hören können, die man mir erzählte, und seit meine Zunge Worte formen kann, die die stärksten Neigungen meines Herzens zum Ausdruck bringen. Schenken Sie mir diese letzten kostbaren Augenblicke, die Zeit, dorthin zu reisen. Es ist ja nicht weit. Kaum eine Viertelstunde von hier – ein paar Minuten nur für uns alle. Und auf dem Glastonbury Tor will ich sie ihnen geben, wie ein Vater seine Tochter geben würde, einen Schatz, meine geliebte Tessa, auf daß ihr tut, was ihr beide ersehnt.«
    Er verstummte und schaute Ash an, noch immer verzweifelt und zutiefst betrübt, als stehe hinter diesen Worten, daß er sich mit seinem Tode restlos abgefunden habe.
    Von Yuris offensichtlicher, wenngleich wortloser Verachtung nahm er keine Notiz.
    Michael sah mit Erstaunen die Verwandlung, die in dem alten Mann vonstatten gegangen war, seine unerschütterliche Überzeugung.
    »Glastonbury«, flüsterte Stuart. »Bitte. Nicht hier.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht hier«, sagte er noch einmal, und dann schwieg er.
    Ash verzog keine Miene. Sehr behutsam, als habe er einem empfindsamen Herzen, mit dem er wirklich Mitleid hatte, ein schreckliches Geheimnis zu eröffnen, sagte er: »Es kann keine Vereinigung geben, keine Nachkommenschaft.« Er ließ sich Zeit mit seinen Worten. »Sie ist alt, Ihr wunderschöner Schatz ist unfruchtbar, ihr Quell ist versiegt.«
    »Alt!« Stuart war verblüfft, ungläubig. »Sehen Sie sie doch an!« rief er. »Ihr Gesicht, ihre Gestalt. Sie ist herrlich. Ich habe Sie mit einer

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