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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zu.
    »Tessa«, sagte er. »Tessa, ich bin hier, mein Liebling.« Er war in seinem eigenen Reich und hatte die anderen vergessen.
    Die Frau erhob sich; sie überragte den gebrechlichen Gordon turmhoch, als er sie umarmte. Sie seufzte sanft, hob die Hände und berührte behutsam Gordons schmale Schultern. Trotz ihrer Größe war sie so zierlich gebaut, daß sie die Schwächere von beiden zu sein schien. Er hielt sie in den Armen und führte sie nach vorn ins hellere Licht, in die Mitte des Zimmers.
    Rowans Gesichtsausdruck hatte etwas Grimmiges. Yuri war fasziniert. Ashs Miene war unergründlich. Er schaute stumm zu, als die Frau immer näher kam und jetzt unter dem Kronleuchter stehen blieb. Das Licht schien ihr auf Scheitel und Stirn.
    Vielleicht lag es an ihrem Geschlecht, daß die Körpergröße der Frau wirklich monströs wirkte.
    Ihr Gesicht war völlig rund und makellos wie Ashs, aber sie hatte nicht seine tiefen Falten. Ihr Mund war zart und klein, die Augen groß, aber scheu und nicht ungewöhnlich gefärbt. Es waren blaue Augen, freundlich und wie bei Ash mit langen, üppigen Wimpern umkränzt. Eine mächtige weiße Haarmähne wuchs von der Stirn nach hinten und fiel ihr beinahe magisch über die Schultern. Sie erschien bewegungslos und weich, vielleicht eher wie eine Wolke denn wie eine Haarmähne, und so fein, daß das Licht den ganzen Schöpf beinahe transparent aussehen ließ.
    Sie trug ein violettes Kleid, das unter den Brüsten wunderschön gerafft War, mit prächtigen, altmodischen Ärmeln, am Schulteransatz ebenfalls gerafft und dann weit gebläht bis hinunter zu den wieder eng schließenden Manschetten.
    Unbestimmt dachte Michael an Rapunzel – genauer gesagt, an jedes romantische Märchen, das er je gelesen hatte, an Reiche von Feenköniginnen und Fürsten von unumschränkter Macht. Die Frau näherte sich Ash, und Michael sah, daß ihre Haut sehr blaß, beinahe weiß war. Wie eine Schwanenprinzessin sah sie aus, mit festen Wangen und einem leicht glänzenden Mund, mit lebhaften Wimpern um die blau leuchtenden Augen.
    Sie runzelte die Stirn, wodurch eine einzige Falte zwischen den Brauen entstand, und sah aus wie ein Baby, das gleich losplärren würde.
    »Taltos«, flüsterte sie. Aber sie sagte es ohne den leisesten Schrecken. Ja, sie sah beinahe traurig aus.
    Yuri schnappte kaum hörbar nach Luft.
    Gordon war wie verzaubert vor Erstaunen, als habe ihn eigentlich nichts darauf vorbereitet, daß dieses Zusammentreffen tatsächlich je stattfinden würde. Einen Moment lang wirkte er beinahe jung; in seinen Augen brannten Liebe und Verzückung.
    »Das ist die Frau, die Sie haben?« fragte Ash leise. Er betrachtete sie, lächelte sogar ein wenig, aber er machte keine Anstalten, sie zu begrüßen oder ihre ausgestreckte Hand zu berühren. Er sprach langsam. »Das ist die Frau, für die Sie Aaron Lightner ermordet haben, für die Sie Yuri ermorden wollten, der Sie um jeden Preis den männlichen Taltos bringen wollten?«
    »Was reden Sie da?« fragte Gordon in furchtsamem Ton. »Wagen Sie nicht, sie zu verletzen, mit Wort oder Tat, oder ich werde Sie umbringen.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Ash. »Meine Liebste«, sagte er zu der Frau. »Kannst du mich verstehen?«
    »Ja«, sagte sie mit leiser Glockenstimme. Sie zuckte die Achseln und warf die Hände in die Luft, fast wie eine ekstatische Heilige. »Taltos«, sagte sie, und sie schüttelte kurz und betrübt den Kopf und runzelte von neuem in beinahe traumartiger Bestürzung die Stirn.
    War die unglückliche Emaleth so schön, so feminin gewesen?
    Mit Schrecken sah Michael Emaleths Gesicht vor sich, wie es zerfiel, als die Kugeln es trafen, und wie ihr Körper rückwärts kippte! War das der Grund, weshalb Rowan weinte, oder war sie nur müde und verwundert, und tränten ihr die Augen ein bißchen, als sie zusah, wie Ash die Frau anschaute und die Frau zu ihm aufblickte? Was mußte sie dabei empfinden?
    »Schöne Tessa«, sagte Ash und zog leicht die Brauen hoch.
    »Was stimmt denn nicht?« fragte Gordon. »Irgend etwas stimmt doch nicht – für Sie beide. Sagen Sie mir, was nicht stimmt.« Er kam näher, blieb dann aber stehen; er wollte offenkundig nicht zwischen sie treten. Seine Stimme klang jetzt voll und traurig. Es war eine Rednerstimme, die Stimme eines Mannes, der wußte, wie er sein Publikum beeinflussen konnte. »O Gott im Himmel, so hatte ich es mir nicht vorgestellt – ein Treffen hier an diesem Ort, umgeben von Leuten, die nicht

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